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Der erfolgreiche Abstieg Europas

Der erfolgreiche Abstieg Europas

Titel: Der erfolgreiche Abstieg Europas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eberhard Sandschneider
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Selbstzufriedenheit bewahrt, als Injektion an Alarmismus, die Kräfte freisetzt gegen vermeintliche Bedrohungen – und in deren Schatten für die Lösung realer Probleme. Hoffen wir also, dass es sich um eine solche List der Vernunft und nicht um gefährlichen Realitätsverlust handelt.« 83 Man mag ernsthaft bezweifeln, ob hier wirklich eine »List der Vernunft« am Werke ist.
    Europa – so wird stattdessen ohne Unterlass geklagt – sei überdehnt, habe sich zu schnell erweitert, leide an einem Mangel an Vertiefung, habe keine Finalität, dafür aber ein ausgewachsenes Demokratiedefizit. Die Liste der Klagen, die man ständig über Europa hört und liest, ist beliebig verlängerbar. Sie wird gerade in Deutschland gerne ergänzt durch den Hang, alles an Europa und der europäischen Integration automatisch gut und erstrebenswert zu finden. Wer sich an Europadebatten beteiligt, folgt wie selbstverständlich dem Drang, peinlich darauf zu achten, dass man sich bei aller Kritik im Einzelnen nicht verdächtig macht, durch übertriebene Skepsis unangenehm aufzufallen. Europa bleibt der zentrale Fluchtpunkt für unangenehme Entscheidungen und Themen, die man im nationalen Rahmen nicht offen diskutieren oder gar entscheiden möchte. Daraus entsteht eine regelrechte Sandwichfalle der Europadiskussion: Empörung und Kritik an den Unzulänglichkeiten Europas werden bestimmt durch den ständigen Abgleich mit einer Vision von Europa, die es in der Realität so nicht gibt, vielleicht nie geben wird – undauch nicht geben muss. Trotz aller Glaubensbekenntnisse und Beschwörungen der europäischen Einheit als alternativlose Strategie der Erhaltung globalen Einflusses ist die EU eben keine Fortsetzung des traditionellen Nationalstaates mit anderen Mitteln, sondern ein Gefüge sui generis, das sich weder mit den USA noch mit anderen Formen regionaler Integration (etwa in Asien) ohne Weiteres vergleichen lässt. Vielleicht, so müsste man wohl für einen Augenblick zugestehen, liegt gerade darin ja die Stärke Europas, zumindest aber ein Potenzial, manches in Zukunft anders zu machen, als es Nationalstaaten üblicherweise tun.
    Diese Überlegungen sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass Skepsis, Eurosklerose, und Pessimismus immer noch die dominierenden Stichworte sind, die die Selbstbefindlichkeitsdebatten der Europäer in schöner Regelmäßigkeit prägen. Übertriebenen Stolz auf das Erreichte kann man den Europäern schwerlich attestieren. Stattdessen überwiegen Gejammer, Kritik an bürokratischen Exzessen, Klagen über Intransparenz und Beschwörungsrituale gegen den Rückfall in nationalstaatliche Kleinteiligkeit. Europa ist eine Großmacht der Schwarzmalerei und darf sich also nicht wirklich wundern, wenn man in der Außenperspektive diese Wahrnehmung aufnimmt. Derweil stört es die Welt außerhalb Europas nicht wirklich, wenn ein Verfassungsvertrag nicht ratifiziert wird, es dafür aber einen Vertrag von Lissabon gibt. Die endlosen Nabelschauen und Befindlichkeitsdebatten erzeugen Aufregung in Europa, aber an seinem globalen Umfeld gehen sie fast spurlos vorbei.
    Vielleicht ist es ja auch tatsächlich viel einfacher, optimistisch in die Welt zu schauen, wenn man Wohlstand erst noch erringen, anstatt ihn mit Klauen und Zähnen verteidigen muss. Europäer jedenfalls sind von Grund auf und, wie es scheint, mit Genuss skeptisch in Bezug auf ihre eigene Zukunft.
    Insofern ist Europas Weltschmerz ungebrochen, aber eben auch gnadenlos übertrieben – ein bisschen mehr Zuversicht wäre angebracht! Wenn man europapolitische Debatten über einen längeren Zeitraum verfolgt, kann man sehr leicht den Eindruck gewinnen, dass Europa ständig am Rande einerKrise, wenn nicht gar vor einer Katastrophe, aber auf jeden Fall irgendwie kurz vor dem Zusammenbruch steht. Die Zukunft Europas scheint am seidenen Faden zu hängen. Seit Jahren bemühen sich Europäer, sich selbst zu versichern, dass dies ein ausgesprochen ernst zu nehmendes Risiko sei. All die Debatten um eine europäische Verfassung, der Katzenjammer nach dem Scheitern des Verfassungsvertrages und die vielfältigen Diskussionen um den Vertrag von Lissabon und derzeit um die Probleme seiner Umsetzung in die Praxis legen nahe, dass Europa vor Schwierigkeiten kaum aus den Augen schauen kann.
    Nun kann man objektiv betrachtet am Zustand der Europäischen Union und ihrem internationalen Auftreten manches zu Recht beanstanden. Niemand formuliert diese in der Regel ja gut gemeinte

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