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Der erfolgreiche Abstieg Europas

Der erfolgreiche Abstieg Europas

Titel: Der erfolgreiche Abstieg Europas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eberhard Sandschneider
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Unzufriedenheit zu kanalisieren und revolutionäre Umbruchsituationen zu vermeiden. Hier liegt nach wie vor der entscheidende komparative Vorteil demokratischer Ordnung.
    Die Politik der Demokratisierung von außen ist gescheitert. Wer versucht hat, auf der »dritten Welle der Demokratisierung« mitzusurfen, steht heute meistens auf dem Trockenen.
    Der grundsätzliche Systemkonflikt zwischen Demokratien und Nichtdemokratien bleibt auch im beginnenden 21. Jahrhundert prägend für die Konflikt- und Kooperationsstrukturen der internationalen Politik.
     

7 DIE LEIDEN DES WIEDERVEREINTEN EUROPA
Gipfelrast zwischen Weltschmerz und Zukunftsangst
    In vielen Teilen der Welt würde man sich nichts mehr wünschen, als die Schwächen und Probleme Europas zu haben. Dann würde es vielen Millionen Menschen dort besser gehen. Die Europäer aber diskutieren ihre Probleme mit Inbrunst. Seit Jahren werden buchstäblich jeden Tag Ratschläge publiziert, was Europa tun müsste, um seine Integration voranzutreiben, endlich handlungsfähig zu werden und mit einer Stimme zu sprechen.
    Gerade die Forderung, dass Europa endlich »mit einer Stimme« sprechen müsse, um sein Gewicht in den internationalen Beziehungen besser zur Geltung zu bringen, gehört dabei mit Abstand zu den Lieblingsformulierungen in entsprechend aufgeregten Debattenbeiträgen. In Grundsatzreden zu Europa hat sie ausnahmslos ihren festen Platz. Die Realität sieht aber ganz anders aus. Selbst bei oberflächlicher Betrachtung braucht es nicht viel, um zu einer einfachen Einsicht zu kommen: Europa wird in absehbarer Zukunft nicht mit einer Stimme sprechen. Das liegt nicht nur an dem gewaltigen Koordinierungsaufwand, der dazu wegen der fehlenden Entscheidungsmuster in der EU notwendig wäre, es liegt vor allemdaran, dass wichtige (und manchmal auch unwichtige) europäische Mitgliedstaaten und ihre politischen Eliten dazu partout nicht bereit sind. Trotz aller Integrationsfortschritte der letzten 60 Jahre dominieren am Ende auch im vereinten Europa nationalstaatliche Interessen. Nach wie vor werden wesentliche europapolitische Weichenstellungen in den Hauptstädten der Mitgliedstaaten und nicht in Brüssel entschieden. Die Debatten um die Errichtung einer Flugverbotszone unter UN-Mandat in Libyen sind nur eines der vielen Beispiele, die die Auswirkungen unterschiedlicher Interessenlagen einzelner Mitgliedstaaten der EU auf eine »gemeinsame« Außen- und Sicherheitspolitik zeigen.
Europas ungebrochener Weltschmerz
    Diskussionen über Europa haben folglich immer einen Anflug von Resignation. Gelegentlich auch von innerer Empörung darüber, dass es offensichtlich nicht gelingen will, Europa zu dem Ideal zu machen, von dem viele träumen. Empörung verkauft sich immer gut. Entsprechend sind wir gerne und oft über alles Mögliche empört, über die neue Gesundheitspolitik, höhere Steuern, Banken und ihre Manager, Politiker im Allgemeinen und immer wieder gerne eben auch über Europa.
    Wenn man die landläufigen Debatten um die Krise Europas verfolgt, ist man schnell geneigt, Selbstmord aus Angst vor dem Tod zu begehen. Wenn Krisen zum Dauerzustand werden, hören sie eigentlich auf, »Krisen« zu sein. Und wenn sie ständig herbeigeredet oder heraufbeschworen werden, dienen sie vor allem denjenigen, die von ihnen leben und an ihnen verdienen – und sie deswegen umso inbrünstiger herbeireden. Die einzig sinnvolle Antwort auf das in Mode gekommene Krisengerede hat Hans-Gert Pöttering, der ehemalige Präsident des europäischen Parlamentes, in seinem Stiftungsvortrag 2011 der Robert Bosch Stiftung gegeben: »Es gibt große Herausforderungen, denen man sich stellen muss, und man muss versuchen, diese klug zu bewältigen.« 82 So einfachist das. Und auch nicht wirklich anders als in der Vergangenheit, oder?
    Gelegentlich hört und liest man erfreulich Unaufgeregtes über Europa. Aber Äußerungen wie die folgende haben immer noch Seltenheitswert: »Europa ist noch nicht am Ziel. Doch der Begriff ›Krise‹ verliert seinen Sinn, wenn man ihn unablässig im Munde führt. Es wäre doch aberwitzig, wenn sich Politiker aller Couleur seit Jahrzehnten einem Projekt verschreiben, das aus der Krise nie herauskommt; in zwischenmenschlichen Beziehungen hätte man schon längst Schluss gemacht. Allerdings könnte sich das ermüdende Krisengerede in einem dialektischen Sinne als hilfreiche Fehlwahrnehmung erwiesen haben: als therapeutischer Mechanismus, der vor imperialer

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