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Der erfolgreiche Abstieg Europas

Der erfolgreiche Abstieg Europas

Titel: Der erfolgreiche Abstieg Europas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eberhard Sandschneider
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machen Europa für die Politik verantwortlich, für die sie in ihren Ländern nur schwer Zustimmung finden. Wer Europa auf diese Weise als Sündenbock benutzt, um von eigenen Fehlern und Unzulänglichkeiten abzulenken, und es zum Restrisiko nationaler Politik verkommen lässt, darf sich nicht wundern, wenn bei Wählern ein negatives Bild von Europa entsteht.
    Hinzu kommt die typische Komplexitätsfalle. Die europäische Integration hat längst einen Komplexitätsgrad erreicht, der Wählern nicht mehr ohne Weiteres zu vermitteln ist. So entsteht der Eindruck, dass die Legitimität und Repräsentativität intermediärer Strukturen für die Handlungsfähigkeit Europas wichtiger sei als scheinlegitimatorische Akte, in denen die politischen Intentionen mit denen der handelnden Wähler nur höchst begrenzt in Einklang stehen. Legitimität entsteht aber nur dann in partizipatorischen Akten, wenn die Ergebnisse politischen Handelns zur Akzeptanz bei den Betroffenen führen. Insofern ist Transparenz europäischer Entscheidungen und Interessen ein viel größeres Desideratum als »Demokratie« im Sinne der besseren Beteiligung der Bürger. Europa braucht sehr viel dringlicher diesen Nachweis, effiziente Entscheidungen treffen zu können! Mir ist wohl bewusst, dass diese Forderung sehr leicht erhoben, aber nur schwer in die Praxis umgesetzt werden kann. Vielleicht hilft es, einen großen historischen Vergleich zu bemühen, um die langfristigen Konsequenzen eines Versagens an dieser Stelle deutlich zu machen. Das tut beispielsweise der niederländische Europaminister Ben Knapen: »Europa steht an einer Wegscheide – ähnlich wie China im Jahr 1436. Damals besaßen die Chinesen 100 Meter lange Schiffe, die in riesigen Konvois die Weltmeere befuhren. Der Seefahrer Admiral Zheng landete am Kap der Guten Hoffnung; manche glauben sogar, dass er bis nach Amerika kam. In jenem Jahr aber verfügte der chinesische Kaiser, dass Gelder, die für die Flotte bestimmt waren, künftig für den Ausbau der Großen Mauer verwendet werden sollten. Der Pioniergeist von Männern wie Admiral Zheng musste hinter dem bürokratischen Sicherheitsbedürfnis der Ming-Dynastie zurückstehen. Die Außenwelt wurde nun als Bedrohung angesehen, und folglich erstarrte die Kultur. Von Innovation konnte keine Rede mehr sein. China wurde international irrelevant, und daran sollte sich jahrhundertelang nichts ändern.« Das Beispiel des chinesischen Niedergangs, dessen Trend erst im Jahre 1978 durch die Einführung der Reformpolitik unter Deng Xiaoping gebrochen werden konnte, ist bekannt. Die Symbolik des Beispiels lässt sich ohne Weiteres auf Europa übertragen, wie es Ben Knapen auch tut: »Ein halbes Jahrtausend später muss Europa sich entscheiden: Soll es mit Pioniergeist und Zuversicht vorwärts schreiten, oder soll es sich ängstlich hinter Mauern zurückziehen? Die Bedrohung, der sich Europa gegenübersieht, besteht nicht länger in einem Krieg zwischen seinen Nationen, sondern darin, in der Bedeutungslosigkeit zu versinken.« 86
    Europa braucht also mehr als nur die Endlosschleifen vermeintlich wichtiger Politikdebatten der Vergangenheit. Europa braucht – und das erwartet auch der Rest der Welt – die Fähigkeit, sich neuen Fragen und Lösungswegen konstruktiv und pragmatisch zu öffnen. Verantwortung für Friedenund Entwicklung kann Europa nur dann übernehmen, wenn es zwar auch durch institutionelle Reformen in seiner Handlungsfähigkeit gestärkt, aber vor allem durch Leistung in seiner Attraktivität bestätigt und noch wichtiger durch Effizienzsteigerung in seiner Problemlösungsfähigkeit anerkannt wird. Das ist alles leichter gesagt als getan. Darin liegt die Kernaufgabe des europäischen Projekts. Dafür braucht es mehr Willen zu pragmatischen Lösungen ohne Krisentümelei und weniger Sucht nach großen Entwürfen. Was soll schlecht daran sein, wenn fortgesetztes Scheitern letztlich zum Erfolg führt?
Die nüchterne Sicht der Anderen
    Von seinen Nachbarn und Partnern wird Europa unabhängig von seinen internen Debatten in wachsendem Maße kritisch gesehen. Also muss man wohl fragen, ob das kritische Fremdbild Europas vielleicht daran liegt, dass die Geschichte und die bisherigen Ergebnisse der europäischen Einigung eigentlich nur für Europa ein wirklicher Erfolg sind? Sicherlich: Stabilität, Wohlstand und Frieden waren in Europa nie so lange und andauernd garantiert. Aber Europa kann nicht die Welt retten, sondern hat alle Hände voll damit

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