Der erfolgreiche Abstieg Europas
dass sie es vielleicht tatsächlich schaffen, aber eine Garantie, gar einen Automatismus gibt es auch nicht.
Alle Formen externer Demokratieförderung, wie sie derzeit zum Teil mit hohem Aufwand praktiziert werden, werden auf Dauer ohne Erfolg bleiben, wenn sie übersehen, dass die erfolgreiche Verbreitung und Konsolidierung von Demokratie weniger an direkte und indirekte Einflüsse, sondern an die Diffusion demokratischer Ideen über geografische und kulturelle Grenzen gebunden ist. Externe Demokratieförderung funktioniert also nur flankierend. Dauerhafte Demokratisierung lässt sich nur innenpolitisch erreichen. Hilfe von außen ist wichtig, aber nicht entscheidend für den dauerhaften Erfolg einer demokratischen Transformation. Wo diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, stellen sich sehr schnell Verwerfungen ein. Längst haben wir begonnen, die Fehlentwicklungen in einer ganzen Reihe von Demokratisierungsprozessen mit Begriffen wie »defekte« oder »illiberale« Demokratien zu belegen. Russlands »delegative Demokratie« und die innenpolitischen Entwicklungen in der Ukraine sind nur zwei einer ganzen Reihe von viel diskutierten Beispielen. Die meisten Debatten über diese Fragen greifen aber zu kurz, wenn es um die eigentlichen demokratischen Herausforderungen am Beginn des 21. Jahrhunderts geht.
Festhalten kann man wohl nur eines: Eine der wesentlichen Spannungslinien internationaler Politik bleibt uns auch im 21. Jahrhundert erhalten, nämlich die Spannungen, die durch Konflikte zwischen unterschiedlichen Systemtypen entstehen. Vor einer grundsätzlichen Überschätzung der Leistungsfähigkeit von Autokratien kann nur gewarnt werden. Bislang sind noch alle Autokraten mit ihrem Anspruch gescheitert, die Strukturen und die Stabilität der von ihnen kontrollierten politischen Systeme auf Dauer zu erhalten – und zwar sowohl wenn sie ökonomisch und sozial erfolglos waren, aber auch wenn sie außerordentliche Erfolge zu verzeichnen hatten. Autokratie und Nachhaltigkeit scheinen sich auszuschließen. Aber stimmen auch die Annahmen, dass Demokratien grundsätzlich friedlicher miteinander umgehen und dass Autokratien in der Regel die Ursachen für Konflikte und Krisen sind? Ist es schließlich sinnvoll, anzunehmen, mit Demokratie ließen sich alle Probleme lösen?
Es war vor 20 Jahren zu früh, den finalen Siegeszug der Demokratie zu proklamieren. Es ist heute zu früh, die Rückkehr
der Diktaturen zu beschwören. Was in diesem Sinne für Demokratien und ihren Modellcharakter gilt, lässt sich in noch viel stärkerem Maße für Europa und
seine künftige Position in einer multipolaren Weltordnung festhalten: Es geht bei aller gebotenen Bescheidenheit um den Vorbildcharakter der eigenen
Errungenschaften darum, eben diese Errungenschaften nicht aus den Augen zu verlieren, wenn man über die Herausforderungen der Zukunft nachdenkt. In den
tagtäglichen Selbstzweifeln in Politik und Medien in Europa droht dies allzu schnell in Vergessenheit zu geraten. Dies müssen sich insbesondere die
Europäer immer wieder vor Augen halten, wenn sie in ihrer Lieblingsbeschäftigung darangehen, den Zustand des eigenen Kontinents kritisch zu
beleuchten.
Die Thesen im Überblick:
Die Hoffnungen auf eine weltweite Durchsetzung des westlichen Erfolgsmodells aus Demokratie und Marktwirtschaft haben sich nicht erfüllt.
Im Spannungsfeld zwischen Legitimität und Effizienz reicht es nicht aus, nur auf die Verbesserung von Legitimität durch Steigerung von Partizipation zu setzen. Nur Systeme, die sich dauerhaft als Garanten für effiziente Problemlösungen erweisen, werden in der Lage sein, ihre Stabilität ohne allzu hohe Kosten zu sichern.
Hier kommen westliche Demokratien immer stärker unter Konkurrenz- und Erfolgsdruck, auch weil Autokratien darangehen, ihre eigenen Erfolge in konzeptionelle Herausforderungen zu übersetzen.
Gerade die wirtschaftlich erfolgreichen Autokratien stehen in offener Rivalität zum Machtanspruch des Westens, verfolgen konsequent andere Interessen und setzen auf Konkurrenzmodelle zu Demokratie und Marktwirtschaft.
Momentaufnahmen erfolgreicher autokratischer Aufsteigerstaaten dürfen nicht über die gewaltigen Probleme hinwegtäuschen, mit denen sie innenpolitisch zu kämpfen haben und die sowohl ihre Stabilität als auch ihre dauerhafte Erfolgsfähigkeit infrage stellen.
Die Stärke von Demokratien zeigt sich häufig erst in Krisen. Transparenz, Legitimität und institutionalisierter Protest helfen,
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