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Der Erl�ser

Titel: Der Erl�ser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesb�
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heiser, als sie ihn einschaltete. Es war zehn Uhr. Sie hatte eine Stunde, das sollte reichen, um alle Böden zu saugen und alle Wände und glatten Flächen abzuwischen. Sie sah zur geschlossenen Schlafzimmertür und fragte sich, ob sie dort anfangen sollte. Wo die Erinnerungen am heftigsten und die Spuren am zahlreichsten waren. Nein. Sie setzte die Mündung des Staubsaugerrohres auf ihren Unterarm. Es fühlte sich an wie ein Biss. Als sie es losriss, sah sie, dass sie dort einen Bluterguss bekommen würde.
    Sie hatte erst wenige Minuten gesaugt, als ihr der Gedanke kam. Die Briefe! Mein Gott, sie hätte fast vergessen, dass man die Briefe finden konnte, die sie ihm geschrieben hatte. Sowohl die ersten, in denen sie von ihren versteckten Träumen und Wünschen erzählt hatte, als auch die letzten, die verzweifelten, nackten, in denen sie ihn angefleht hatte, sich doch wieder zu melden. Sie ließ den Staubsauger laufen, legte das Rohr über einen Stuhl, rannte zu Jons Schreibtisch und begann, die Schubladen herauszuziehen. In der ersten waren Stifte, Klebeband, Locher. In der zweiten Telefonbücher. Die dritte war verschlossen, natürlich.
    Sie nahm den Brieföffner, der auf der Tischplatte lag, schob ihn über dem Schloss in den Schlitz und lehnte sich mit aller Kraft aufden Schaft. Das trockene, alte Holz knackte. Als sie schon dachte, der Brieföffner würde gleich zerbrechen, bekam die Frontseite der Schublade der Länge nach einen Riss und zerbrach. Sie zog sie mit einem Ruck heraus, wischte die Holzsplitter beiseite und sah Briefe. Stapelweise Briefe. Ihre Finger blätterten blitzschnell. Hafslund Energi. DNB. If. Heilsarmee. Ein unbeschrifteter Umschlag. Sie öffnete ihn. »Lieber Sohn«, stand oben auf dem Brief. Sie blätterte weiter. Da! Unten auf dem Umschlag stand mit diskreten hellblauen Lettern der Name des Fonds: Gilstrup Invest.
    Erleichtert zog sie den Brief heraus.
    Als sie fertig gelesen hatte, legte sie den Brief weg und spürte die Tränen auf ihren Wangen. Es kam ihr fast so vor, als wären ihr die Augen wieder geöffnet worden, als wäre sie blind gewesen und könnte jetzt wieder sehen und erkennen, dass alles beim Alten war. Als wäre all das, woran sie einmal geglaubt, das sie aber verworfen hatte, wieder wahr geworden. Der Brief war nicht lang, aber lang genug, um plötzlich alles in einem vollkommen anderen Licht zu sehen.
    Der Staubsauger heulte hartnäckig und übertönte alle Geräusche, nur nicht die einfachen, klaren Sätze des Briefes, seine absurde und gleichzeitig einleuchtende Logik. Sie nahm den Verkehr draußen auf der Straße nicht wahr, nicht das Knirschen der Tür und auch nicht die Person, die unmittelbar hinter ihrem Stuhl stand. Erst als sie den Geruch bemerkte, stellten sich ihre Nackenhaare auf.
     
    *
     
    Die SAS-Maschine landete in Flesland bei Böen von West. Im Taxi nach Bergen versuchten die Scheibenwischer mit ihrem hektischen Gewische die Spikes niederzuzischen, die über den nassen, schwarzen Asphalt kratzten. Auf ihrem Weg kamen sie an durchnässten grünen Hügeln vorbei, auf denen der Wind an den Grasbüscheln und kahlen Bäumen zerrte. Winter in Bergen.
    Als sie ins Fyllingsdalen kamen, rief Skarre an.
    »Wir haben was gefunden.«
    »Schieß los!«
    »Wir haben die Festplatte von Robert Karlsen überprüft. Daseinzig Verdächtige darauf waren ein paar Cookies von Pornoseiten im Internet.«
    »Die würden wir auch auf deinem PC finden, Skarre. Komm zur Sache.«
    »Wir haben auch in seinen Papieren oder Briefen keine Hinweise auf zweifelhafte Personen gefunden.«
    »Skarre «, sagte Harry warnend.
    »Stattdessen sind wir auf einen interessanten Beleg für ein Flugticket gestoßen«, sagte Skarre. »Rat mal wohin?«
    »Ich knall dir gleich eine.«
    »Nach Zagreb«, beeilte sich Skarre zu sagen. Und als Harry nicht antwortete, fügte er vorsichtig hinzu. »In Kroatien.«
    »Danke. Wann war er da?«
    »Im Oktober. Abreise zwölfter Oktober und Rückflug am gleichen Tag.«
    »Hm. Ein Tag im Oktober in Zagreb. Das hört sich nicht gerade nach Ferien an. «
    »Ich hab mit seiner Chefin im Fretex im Kirkeveien Rücksprache gehalten, und sie hat gesagt, dass Robert für sie absolut nichts im Ausland zu erledigen hatte.«
    Als Harry aufgelegt hatte, fragte er sich, warum er Skarre nicht gesagt hatte, dass er mit seiner Arbeit zufrieden war. Das hätte er ohne Weiteres tun können. Wurde er langsam geizig? Nein, dachte er, als er sich die vier Kronen Wechselgeld vom

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