Der Erl�ser
seiner Jacke drang. »Ich habe gehört, dass es da eine ungeheure Loyalität geben soll.«
»Das ist wie eine Bruderschaft«, sagte Møller. »Undurchdringlich. «
»Kennst du sonst noch jemand, der da war?«
Møller schüttelte den Kopf. Er sah schon wieder nüchtern aus. »Gibt’s was Neues in eurem Fall? Ich hab Insiderinformationen. « »Wir haben noch nicht einmal ein Motiv.«
»Das Motiv heißt Geld«, sagte Møller und räusperte sich. »Gier und die Illusion, dass sich die Dinge verändern, wenn man Geld hat. Dass man sich selbst verändert.«
»Geld?« Harry sah Møller an. »Na ja, vielleicht«, entgegnete er zögernd.
Møller spuckte verächtlich in die graue Suppe vor ihnen. »Finde das Geld. Finde das Geld und folge ihm. Das führt dich immer zu einer Antwort.«
So hatte Harry ihn noch nie reden hören, nicht mit dieser bitteren Gewissheit, als wüsste er etwas, das er lieber nicht wüsste.
Harry hielt die Luft an und nahm Anlauf: »Du weißt, dass ich nicht so gut um den heißen Brei herumreden kann, Chef. Also, hör mir zu. Du und ich, wir sind so Menschen, die nicht allzu viele Freunde haben. Und auch wenn du mich vielleicht nicht als Freund betrachtest, bin ich doch so was in der Art. «
Harry sah Møller an, bekam aber keine Antwort.
»Ich bin hierher gekommen, weil ich wissen wollte, ob ich was tun kann. Ob es etwas gibt, worüber du reden willst, oder « Noch immer keine Reaktion.
»Ach, keine Ahnung, aber jetzt bin ich jedenfalls hier, Chef.«
Møller hob sein Gesicht gen Himmel. »Wusstest du, dass hier hinter uns ein richtiges Gebirge liegt? Sechs Minuten mit der Zahnradbahn vom Zentrum der zweitgrößten Stadt Norwegens, und schon bist du in einer Gegend, in der sich die Menschen verlaufen und zu Tode kommen. Verrückt, was?«
Harry zuckte mit den Schultern. Møller seufzte:
»Dieser Regen wird wohl nie aufhören. Lass uns wieder nach unten fahren mit dieser Blechkiste.«
Als sie wieder unten waren, gingen sie gemeinsam zum Taxistand.
»Jetzt vor der Rushhour brauchst du nur zwanzig Minuten bis Flesland«, sagte Møller.
Harry nickte und wartete mit dem Einsteigen. Seine Jacke war inzwischen vollkommen durchnässt.
»Folge dem Geld«, sagte Møller und legte seine Hand auf Harrys Schulter. »Und tu, was du tun musst.«
»Du auch, Chef.«
Møller hob eine Hand zum Gruß und setzte sich in Bewegung. Er drehte sich zwar noch einmal um, als Harry ins Taxi stieg, und rief ihm etwas nach, doch seine Worte wurden vom Verkehr übertönt. Harry schaltete das Handy ein, während sie über den Danmarksplass brummten. Eine SMS von Halvorsen wartete. Er sollte zurückrufen. Harry wählte die Nummer.
»Wir haben Stankics Kreditkarte«, sagte Halvorsen. »Sie wurde heute Nacht um kurz vor zwölf von einem Geldautomaten am Youngstorget eingezogen.«
»Daher kam er also, als wir im Heim waren.«
»Genau.«
»Der Youngstorget ist ein ganzes Stück vom Heim entfernt«, sagte Harry. »Er ist sicher so weit gegangen, weil er Angst hatte, wir könnten ihn im Heim aufspüren, wenn er sich in der Nähe Geld holte. Was nur bedeuten kann, dass er dringend Geld braucht.«
»Aber es kommt noch besser«, sagte Halvorsen. »Der Geldautomat hat Videoüberwachung.«
»Ja?«
Halvorsen machte eine Kunstpause.
»Jetzt komm schon«, sagte Harry. »Er versteckt sein Gesicht doch nicht, oder?«
»Er lächelt direkt in die Kamera, wie ein Promi«, sagte Halvorsen.
»Hat Beate die Aufnahme bekommen?«
»Sie ist gerade im House of Pain und sieht sie sich an. «
*
Ragnhild Gilstrup dachte an Johannes. Wie anders alles hätte kommen können. Wenn sie bloß ihrem Herzen gefolgt wäre, das immer viel klüger als ihr Kopf gewesen war. Es war schon seltsam. Sie war zu keiner Zeit so unglücklich gewesen wie jetzt, und doch wünschte sie sich mehr als je zuvor, dass dieses Leben weiterging.
Nur weiter.
Denn jetzt verstand sie alles.
Sie starrte in eine schwarze Mündung, und sie wusste, was sie da sah.
Und was geschehen würde.
Ihr Schrei erstarb in dem Brüllen eines einfachen Siemens VS08-G2040-Elektromotors. Ein Stuhl polterte zu Boden. Die Mündung mit dem kräftigen Sog näherte sich ihrem Auge. Sie versuchte die Augen zuzukneifen, aber sie wurden von starken Fingern aufgedrückt, die nichts anderes wollten, als dass sie sah. Und sie sah. Und wusste, wusste, was geschehen würde.
KAPITEL 17
Freitag, 18. Dezember. Das Gesicht
D ie Uhr über dem Tresen der großen Apotheke
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