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Der Erl�ser

Titel: Der Erl�ser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesb�
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Sitz hatte.
    »Aber das hilft dir doch auch nichts.«
    Außer natürlich, man glaubte an Gespenster. Die jetzt um seinen Sessel herumstanden und ihn mit finsteren, leeren Augen anstarrten. An Brigitta, die aus dem Meer emporgestiegen war, den Anker noch immer um den Hals, an Ellen, aus deren Hinterkopf der Baseballschläger ragte, an Willy, der wie eine Galionsfigur auf dem Wäscheständer hing, an die Frau im Wasserbett, die ihn durch das blaue Plastik anstarrte, und an Tom, der gekommen war, um sich seine Uhr zu holen und mit seinem blutigen Armstumpf herumzufuchteln.
    Der Schnaps konnte ihn nicht befreien, er schenkte ihm nur eine vorübergehende Erleichterung. Und dafür war er in diesem Augenblick bereit, sehr viel zu bezahlen.
    Er nahm den Hörer ab und wählte eine Nummer. Beim zweiten Klingeln wurde das Gespräch angenommen.
    »Wie läuft’s bei euch, Halvorsen? «
    »Kalt. Jon und Thea schlafen. Ich sitze im Wohnzimmer und gucke auf die Straße. Ich werde morgen früh ein bisschen schlafen.« »Hm. «
    »Wir müssen morgen mal zu Theas Wohnung fahren und noch mehr Insulin holen. Sie ist anscheinend zuckerkrank.«
    »Okay, aber nehmt Jon mit. Ich will nicht, dass er allein da sitzt.« »Ich könnte jemand anderes bitten herzukommen.«
    »Nein!«, sagte Harry scharf. »Ich will da vorläufig keinen anderen mit reinziehen.«
    »Na dann.«
    Harry seufzte. »Hör mal, ich weiß, dass in deiner Stellenbeschreibung nichts von Babysitting stand. Sag einfach Bescheid, wenn ich dir mal einen Gefallen tun kann.«
    »Äh...«
    »Na los. «
    »Ich hab Beate versprochen, sie mal vor Weihnachten zum Lutefisk-Essen einzuladen. Die Arme hat das noch nie probiert.« »Versprochen.«
    »Danke.«
    »Und Halvorsen? «
    »Ja? «
    »Du bist ...«, Harry holte tief Luft, »... okay.«
    »Danke, Chef.«
    Harry legte auf. Waits sang, dass die Schlittschuhkufen den Namen »Alice« auf den vereisten See schrieben.

 
    KAPITEL 21
    Samstag, 19. Dezember. Zagreb
     
     
    E r saß auf dem Bürgersteig neben dem Sofienbergpark und zitterte vor Kälte. Die Menschen hasteten in ihrer morgendlichen Hektik vorbei. Rushhour. Trotzdem landete die eine oder andere Münze in dem Pappbecher, der vor dem Mann stand. Schließlich war bald Weihnachten. Seine Lunge schmerzte, weil er die ganze Nacht über Rauch eingeatmet hatte. Er hob den Blick und sah zur Gøteborggata hinüber.
    Das war das Einzige, was er in diesem Moment tun konnte.
    Er dachte an die Donau, die an Vukovar vorbeifloss. Geduldig und unaufhaltsam. So musste auch er sein. Er musste geduldig warten, bis die Panzer kamen, bis der Drache seinen Kopf aus der Höhle streckte. Bis Jon Karlsen nach Hause kam. Er blickte auf ein Paar Knie, die unmittelbar vor ihm angehalten hatten.
    Sie gehörten einem Mann mit rotem Seehundschnäuzer und einem Pappbecher in der Hand. Der Schnäuzer sagte etwas. Laut und wütend.
    »Excuse me?«
    Der Mann antwortete etwas auf Englisch. Sagte etwas von einem Territorium.
    Er spürte die Pistole in seiner Tasche. Mit einer Kugel. Aber dann holte er stattdessen die große, scharfe Glasscherbe hervor, die er in der anderen Tasche hatte. Der Bettler sah ihn wütend an, trollte sich dann aber. Er schob den Gedanken weg, Jon Karlsen könnte vielleicht nicht kommen. Er musste kommen. Und so lange würde er selbst wie die Donau sein. Geduldig und unaufhaltsam.
     
    *
     
    »Kommen Sie herein«, sagte die geschäftige, freundliche Frau, die in der Heilsarmeewohnung in der Jacob Aalls gate wohnte. Sie sprach das »n« überdeutlich aus, indem sie die Zungenspitze gegen den Gaumen presste, wie es viele tun, die die Sprache erst im Erwachsenenalter gelernt haben.
    »Ich hoffe, wir stören nicht«, sagte Harry, als er mit Beate in den Flur trat. Der Boden war übersät mit Schuhen, großen und kleinen.
    Die Frau schüttelte abwehrend den Kopf, als sie sich auch die Schuhe ausziehen wollten.
    »Kalt«, sagte sie. »Hungrig?«
    »Danke, ich habe gerade gefrühstückt«, antwortete Beate. Harry schüttelte nur freundlich den Kopf.
    Sie führte die beiden ins Wohnzimmer. Rund um den Sofatisch saßen Menschen, und Harry nahm an, dass das die Familie Miholjec war: zwei erwachsene Männer, ein Junge in Olegs Alter, ein kleines Mädchen und eine junge Frau, bei der es sich um Sofia handeln musste. Sie versteckte ihre Augen hinter einem langen schwarzen Pony. Auf ihrem Schoß saß ein Baby.
    »Zdravo« , sagte der ältere der beiden Männer. Er war dünn, hatte graues, aber

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