Der Erl�ser
dichtes Haar und einen schwarzen Blick, den Harry erkannte. Es war der wütende, ängstliche Blick eines Vogelfreien.
»Das ist mein Mann«, sagte die Frau. »Er versteht Norwegisch, spricht aber nicht so viel. Und das ist Onkel Josip. Er ist über Weihnachten zu Besuch bei uns. Meine Kinder.«
»Alle vier?«, fragte Beate.
»Ja«, lachte sie, »der Kleine war ein Geschenk Gottes.«
»Ein süßer Bengel«, sagte Beate und schnitt dem Baby eine Grimasse, worauf sich dieses vor Begeisterung gurgelnd nach hinten warf. Und wie Harry schon geahnt hatte, konnte sie es nicht lassen, ihm in die roten Bäckchen zu kneifen. Er gab Beate und Halvorsen ein, maximal zwei Jahre, bis sie selbst so etwas hatten.
Der Mann sagte etwas, und seine Frau antwortete ihm. Dann wandte sie sich wieder an Harry:
»Ich soll Ihnen sagen, dass sie hier in diesem Land nur Norwegern Arbeit geben wollen. Er versucht es ja, findet aber keine Anstellung. «
Harry suchte den Blick des Mannes und nickte ihm zu, ohne eine Reaktion zu bekommen.
»Hier«, sagte die Frau und deutete auf zwei freie Stühle.
Sie setzten sich. Harry sah, dass Beate das Notizbuch gezückt hatte, ehe er das Wort ergriffen hatte:
»Wir sind gekommen, um Sie zu fragen «
»Robert Karlsen«, sagte die Frau und sah zu ihrem Mann, der zustimmend nickte.
»Genau. Was können Sie mir über ihn sagen?«
»Nicht viel. Wir haben ihn nur kurz kennengelernt. «
»Nur kurz.« Der Blick der Frau huschte wie zufällig über Sofia, die still dasaß und ihre Nase in den dünnen Haaren des Babys vergraben hatte. »Jon hat Robert überredet, uns zu helfen, als wir im Sommer aus der kleinen Wohnung im A-Flügel ausgezogen sind. Jon ist ein netter Mensch. Er hat uns die größere Wohnung besorgt, als wir den Kleinen bekommen haben, verstehen Sie? « Sie lachte das Baby an. »Aber Robert hat die meiste Zeit nur rumgestanden und mit Sofia geredet. Und … nun. Sie ist erst fünfzehn Jahre alt.«
Harry sah, wie das Gesicht des jungen Mädchens die Farbe wechselte. »Hm. Wir würden auch gerne mit Sofia reden.«
»Nur zu«, sagte die Mutter.
»Am liebsten allein«, sagte Harry.
Mutter und Vater sahen sich an. Das Duell dauerte nur zwei Sekunden, doch lange genug, dass Harry eine ganze Menge Schlüsse ziehen konnte. Vielleicht hatte er früher einmal die Entscheidungen gefällt, doch hier, in der neuen Wirklichkeit, dem neuen Land, in dem sie die größere Anpassungsfähigkeit gezeigt hatte, durfte auch sie mitreden. Sie nickte Harry zu.
»Setzen Sie sich in die Küche. Wir werden nicht stören.« »Danke«, sagte Beate.
»Nichts zu danken«, sagte die Frau ernst. »Wir wollen, dass Sie den Täter kriegen. Wissen Sie etwas über ihn? «
»Wir glauben, dass es sich um einen Auftragskiller aus Zagreb handelt«, sagte Harry. »Er hat auf jeden Fall aus Oslo in einem Hotel dort angerufen.«
»In welchem?«
Harry blickte überrascht zum Vater, der die norwegischen Worte ausgesprochen hatte.
»Hotel International«, sagte er und bemerkte, dass Vater und Onkel einen Blick wechselten.
»Wissen Sie etwas?«, fragte Harry.
Der Vater schüttelte den Kopf.
»Es wäre uns wirklich eine große Hilfe«, sagte Harry. »Der Mann ist jetzt auf der Suche nach Jon, gestern hat er Jons Wohnung mit Kugeln durchsiebt.«
Harry sah das Erstaunen, das in die Augen des Vaters stieg. Aber er blieb stumm.
Die Mutter führte sie in die Küche, und Sofia folgte widerwillig. Wie es wohl die meisten Jugendlichen getan hätten, dachte Harry. Vermutlich würde Oleg in ein paar Jahren auch so sein.
Nachdem die Mutter gegangen war, übernahm Harry den Notizblock, während sich Beate auf einen Stuhl setzte, der genau vor Sofia stand.
»Hallo Sofia, ich heiße Beate. Du und Robert, wart ihr ein Liebespaar? «
Sofia blickte zu Boden und schüttelte den Kopf.
»Warst du in ihn verliebt?«
Erneutes Kopfschütteln.
»Hat er dir wehgetan?«
Zum ersten Mal, seit sie gekommen waren, zog Sofia die Gardine aus schwarzen Haaren zur Seite und sah Beate direkt an. Harry nahm an, dass sich irgendwo hinter der massiven Schminke ein hübsches Mädchen verbarg. Jetzt sah er nur ihren Vater in ihr. Wütend und ängstlich. Und einen blauen Fleck auf der Stirn, den die Schminke nicht ganz verbergen konnte.
»Nein«, sagte sie.
»Hat dein Vater dir gesagt, dass du uns nichts erzählen sollst, Sofia? Ich kann es dir doch ansehen.«
»Was können Sie sehen?«
»Dass dir jemand wehgetan hat.«
»Sie lügen.«
»Und woher
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