Der Erl�ser
helfen, und nicht, um sie zu verfolgen.«
Harry sah sie lange an. »Sie haben recht. Tut mir leid, dass ich gefragt habe, wird nicht wieder vorkommen.«
»Danke.«
»Nur noch eine letzte Frage.«
»Bitte.«
»Würden Sie «, Harry zögerte, denn er befürchtete, er war im Begriff, einen Fehler zu machen. »Würden Sie mir glauben, wenn ich Ihnen sage, dass mir diese Leute nicht egal sind?«
Sie neigte den Kopf zur Seite und sah Harry an. »Sollte ich?«
»Tja. Ich ermittle in einem Fall, von dem alle glauben, es handele sich eindeutig um den Selbstmord einer Person, um die sich niemand kümmert.«
Sie antwortete nicht.
»Guter Kaffee«, Harry stand auf.
»Gern geschehen«, sagte Sie. »Gott segne Sie. «
»Danke«, sagte Harry und spürte zu seiner Verwunderung, dass seine Ohrläppchen warm wurden.
Auf dem Weg nach draußen blieb er vor der Eingangskontrolle stehen und drehte sich noch einmal um, aber da war sie bereits verschwunden. Der Junge mit der Kapuzenjacke bot Harry die grüne Plastiktüte mit dem Lunchpaket der Heilsarmee an, aber er lehnte ab, zog den Mantel enger um sich und trat auf die Straße. Die Sonne begann bereits leicht errötet ihren Rückzug in Richtung Oslofjord. Er ging hinunter zum Akerselva. Am Treffpunkt Eika stand ein Junge mitten im zusammengeschobenen Schnee. Er hatte sich den Ärmel seiner zerrissenen Daunenjacke hochgeschoben, eine Spritze baumelte von seinem Unterarm. Lächelnd blickte er durch Harry hindurch, durch den Nebel, der sich auf den Stadtteil Grønland herabsenkte.
KAPITEL 6
Montag, 14. Dezember. Halvorsen
P ernille Holmen wirkte noch kleiner, als sie im Sessel im Fredensborgveien saß und Harry mit großen, verweinten Augen anstarrte. Auf ihrem Schoß lag ein gerahmtes Bild von ihrem Sohn Per.
»Da war er neun Jahre alt«, sagte sie.
Harry musste schlucken. Zum einen, weil kein Neunjähriger mit Schwimmweste jemals daran dachte, mit einer Kugel im Kopf in einem Container zu enden, und zum anderen, weil ihn dieses Bild an Oleg erinnerte, der Harry manchmal, wenn er nicht nachdachte, »Papa« nannte. Harry fragte sich, wie lange es dauern würde, bis er Mathias Lund-Helgesen »Papa« nannte.
»Mein Mann, Birger, hat immer nach ihm gesucht, wenn Per ein paar Tage weg war«, sagte sie. »Obwohl ich ihn immer darum gebeten habe, das nicht zu tun. Ich hab es nicht mehr ausgehalten, wenn Per hier war.«
Harry verdrängte seine Gedanken an Oleg. »Warum nicht?« Birger Holmen sei beim Bestattungsunternehmer, hatte sie gesagt, als Harry unangemeldet aufgetaucht war.
Sie schniefte. »Haben Sie jemals mit einem Drogenabhängigen unter einem Dach gelebt?«
Harry antwortete nicht.
»Er hat alles gestohlen, was ihm in die Finger kam. Wir haben das akzeptiert. Das heißt, Birger hat das akzeptiert, er ist die gute Seele von uns beiden.« Sie schnitt eine Grimasse, die Harry als den Versuch eines Lächelns deutete.
»Er hat Per immer verteidigt. Was er auch gemacht hat. Bis zum letzten Herbst. Da hat Per mich bedroht.«
»Sie bedroht?«
»Ja. Er wollte mich töten.« Sie starrte auf das Bild und rieb über das Glas, als wäre es matt geworden. »Per klingelte eines Morgens. Er stand unten vor der Tür, aber ich wollte ihn nicht in die Wohnung lassen, ich war allein. Er flehte mich an, aber ich hatte das alles schon einmal erlebt, deswegen blieb ich hart. Ich bin dann in die Küche gegangen und habe mich hingesetzt. Ich weiß nicht, wie er hereingekommen ist, doch plötzlich stand er mit einer Pistole vor mir. «
»Die gleiche Pistole, mit der er «
»Ja, ja. Ich glaube schon.«
»Erzählen Sie weiter.«
»Er hat mich gezwungen, den Schrank aufzuschließen, in dem ich meinen Schmuck aufbewahrte. Das heißt die wenigen Stücke, die mir geblieben waren. Das meiste hatte er sowieso schon genommen. Dann verschwand er wieder.«
»Und Sie?«
»Ich? Ich bin zusammengebrochen. Als Birger kam, brachte er mich ins Krankenhaus.«
Sie schnaubte. »Aber da wollten sie mir nichts mehr geben. Sie meinten, ich hätte schon genug Pillen genommen.«
»Was für Pillen?«
»Na, was glauben Sie wohl? Beruhigungsmittel natürlich. Mehr als genug! Wenn man einen Sohn hat, wegen dem man keine Nacht mehr schlafen kann, weil man fürchtet, er könnte zurückkommen « Sie hielt inne und presste sich die Faust vor den Mund. Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie flüsterte so leise, dass Harry es kaum mehr hörte: »... dann möchte man manchmal einfach nicht mehr leben
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