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Der Erl�ser

Titel: Der Erl�ser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesb�
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sich an.
    »Wie auch immer«, sagte der Kriminalchef. »Auf den solltest du ein besonderes Augenmerk haben. Nach allem, was ich weiß, ist er vor Kurzem von seiner Lebensgefährtin verlassen worden. Und es ist ja bekannt, dass so etwas bei Leuten mit Harrys Gewohnheiten häufig zu Rückfällen führt. Was wir natürlich nicht akzeptieren können, auch wenn er noch so viele Fälle hier im Dezernat gelöst hat.«
    »Ich werde ihn schon in seine Schranken weisen«, sagte Hagen.
    »Er ist Hauptkommissar«, sagte Møller und schloss die Augen. »Und kein kleiner Beamter. Und Schranken mag er ganz und gar nicht.«
    Gunnar Hagen nickte langsam, während er sich mit der Hand durch den dichten Haarkranz fuhr.
    »Wann fangen Sie in Bergen an ? «, Hagen ließ seine Hand sinken, »Bjarne?«
    Møller dachte, die Schwierigkeiten, sich beim Vornamen zu nennen, beruhten auf Gegenseitigkeit.
     
    *
     
    Harry lief über die Urtegata und konnte an den Schuhen der Entgegenkommenden erkennen, dass er sich dem Fyrlyset näherte. Die Leute vom Drogendezernat pflegten immer zu sagen, dass nichts mehr zur Identifikation von Drogenabhängigen beitrug als die Überschusslager des Militärs. Denn über die Heilsarmee landete das militärische Schuhwerk früher oder später an den Füßen der Drogensüchtigen. Im Sommer waren es blaue Joggingschuhe und jetzt im Winter schwarze Springerstiefel, die gemeinsam mit dem Verpflegungspaket der Heilsarmee in der grünen Plastiktüte so etwas wie die Uniform der Obdachlosen waren.
    Harry ging durch die Tür und nickte der Aufsicht zu. Sie trug den Kapuzenpulli der Heilsarmee.
    »Nichts dabei?«, fragte die Aufsicht.
    Harry schlug sich auf die Taschen. »Nichts.«
    Ein Schild an der Wand verkündete, dass man Alkohol an der Tür abgeben musste und hinterher wieder ausgehändigt bekam. Harry wusste, dass sie es aufgegeben hatten, sich Dope und Besteck aushändigenzu lassen. Kein Junkie würde es jemals aus den Händen geben.
    Harry trat ein, goss sich eine Tasse Kaffee ein und setzte sich auf die Bank an der Wand. Das Fyrlyset war das Café der Heilsarmee, die Suppenküche des neuen Jahrtausends, in der jeder, der es nötig hatte, etwas zu essen und einen Kaffee bekam. Ein angenehmes, helles Lokal, in dem einzig die Klientel erkennen ließ, dass es sich nicht um ein gewöhnliches Café handelte. Neunzig Prozent männliche Drogenabhängige, der Rest Frauen. Man aß Weißbrot mit braunem oder gelbem Käse, las Zeitung und führte ruhige Gespräche an den Tischen. Es war eine Freistatt, eine Möglichkeit, sich wieder aufzuwärmen und auf der Jagd nach dem Schuss des Tages einmal richtig durchzuatmen. Auch wenn hin und wieder Spitzel der Polizei auftauchten, gab es eine stillschweigende Übereinkunft, dass hier drinnen niemand festgenommen wurde.
    Ein Mann an Harrys Nebentisch war in einer tiefen Verbeugung erstarrt. Sein Kopf war auf die Tischplatte gesunken, in den ausgestreckten schwarzen Fingern hielt er ein leeres Zigarettenpapier. Auf der Tischplatte vor ihm lagen ein paar leere Kippen.
    Harry blickte auf den uniformierten Rücken einer winzig kleinen Frau, die auf einem Tischchen mit vier Bilderrahmen die Kerzen auswechselte. Drei der Fotos zeigten Personen, das vierte Bild nur ein Kreuz und einen Namen auf weißem Hintergrund. Harry stand auf und trat an das Tischchen.
    »Was ist das?«, fragte er.
    Vielleicht war es der schlanke Hals, die Geschmeidigkeit ihrer Bewegungen oder das glatte, rabenschwarze und beinahe unnatürlich glänzende Haar, das Harry an eine Katze denken ließ, noch ehe sie sich umgedreht hatte. Der Eindruck wurde von dem schmalen Gesicht mit dem überproportional großen Mund und der winzigen Nase nur noch verstärkt. Sie sah aus wie eines dieser Wesen aus Harrys japanischen Comics. Vor allem jedoch fielen ihm die Augen auf. Er konnte seinen Eindruck nicht in Worte fassen, aber irgendetwas stimmte nicht mit ihnen.
    »November«, antwortete sie.
    Ihre weiche Altstimme war ruhig und tief. Harry fragte sich, ob das ihre wirkliche Stimme war oder ob sie sich bloß angewöhnthatte, so zu sprechen. Er kannte Frauen, die es verstanden, ihre Stimme zu wechseln wie ihre Kleider. Eine für zu Hause, eine für den ersten Eindruck und soziale Anlässe und eine dritte für Nacht und Nähe.
    »Wie meinen Sie das?«, fragte Harry.
    »Unsere Todesfälle im November.«
    Harry betrachtete die Bilder und begriff plötzlich.
    »Vier?«, fragte er leise. Vor einem der Bilder lag ein in zittrigen

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