Der Erl�ser
besorgt auf die Ladeanzeige der Batterie. Sie war sich nicht sicher, wie sich das Elektrofahrzeug – das die Armee vom Königshaus geschenkt bekommen hatte – in der Kälte verhielt. Sie hatte an alles gedacht, ehe sie aus dem Büro gegangen war: Die Informationen über neue und vertagte Sitzungen des Korps waren auf der Homepage eingetragen, und die Wachlisten für den Suppenbus und die Straßenküche am Egertorg waren ebenfalls fertig. Und sie hatte den Einladungsbrief an das Büro des Ministerpräsidenten Korrektur gelesen, in dem es um das alljährlich stattfindende Weihnachtskonzert im Konzerthaus ging.
Die Autotür sprang auf, und kalte Luft wälzte sich herein, gefolgt von einem Mann mit Uniformmütze, dichtem, weißem Haar und den klarsten blauen Augen, die Martine kannte. Auf jeden Fall bei jemand, der schon über sechzig war. Mit etwas Mühe gelang es ihm, seine Beine zwischen Armaturenbrett und Beifahrersitz zu verstauen.
»Dann fahren wir mal«, sagte er und wischte sich den Schnee von den Kommandeursabzeichen, die verrieten, dass er der oberste Befehlshaber der Heilsarmee in Norwegen war. Er sagte es mit der Leichtigkeit und unangestrengten Autorität eines Mannes, der es gewohnt ist, dass seine Anweisungen befolgt werden.
»Du bist spät dran«, sagte sie.
»Und du bist ein Engel.« Er tätschelte mit dem Handrücken ihreWange, und seine blauen Augen leuchteten vor Energie und Vergnügen. »Wir sollten uns beeilen.«
»Papa «
»Moment noch.« Er kurbelte die Scheibe nach unten. » Rikard! «
Ein junger Mann stand vor dem Eingang des Tempels, einem Anbau des Hauptquartiers. Er erschrak, eilte dann aber zu ihnen herüber. Anscheinend fror er, denn er hielt die Arme ganz dicht am Körper. Er rutschte aus, wäre beinahe gefallen, fing sich aber wieder. Als er neben dem Auto stand, war er ganz außer Atem:
»Ja, Kommandeur?«
»Nenn mich David wie alle anderen auch, Rikard! «
»Na gut, David.«
»Aber nicht in jedem Satz, bitte.«
Rikards Blick schweifte von Kommandeur David Eckhoff zu dessen Tochter Martine und wieder zurück. Er fuhr sich mit zwei Fingern über die verschwitzte Oberlippe. Martine hatte sich schon oft gefragt, wie ein Mensch derart intensiv an einer ganz bestimmten Stelle seines Körpers schwitzen konnte, und das bei jedem Wetter. Ganz besonders aber dann, wenn er sich in den Gottesdiensten oder bei anderen Gelegenheiten neben sie setzte und ihr etwas zuflüsterte, das lustig sein sollte und es vielleicht auch gewesen wäre, wären da nicht seine Nervosität und Aufdringlichkeit und eben … diese verschwitzte Oberlippe. Wenn es still war und Rikard dicht neben ihr saß, kam es sogar vor, dass sie ein schabendes Geräusch hörte, wenn er sich mit den Fingern über die Oberlippe fuhr. Denn Rikard Nilsen war nicht nur für den Schweiß bekannt, sondern auch für einen rasanten Bartwuchs. Er kam morgens ins Hauptquartier, frisch rasiert und glatt wie ein Babypopo, doch schon mittags zeichnete sich wieder ein deutlicher Blauschimmer auf der weißen Haut ab, so dass er sich manchmal ein zweites Mal rasieren musste, ehe er zu den abendlichen Versammlungen gehen konnte.
»Ich mach doch nur Spaß, Rikard«, sagte David Eckhoff mit einem Lächeln.
Martine wusste, dass diese Spielchen ihres Vaters nicht böse gemeint waren. Manchmal schien er einfach nicht zu merken, dass er seine Mitmenschen wie ein jovialer Gutsherr behandelte.
»Oh ja«, erwiderte Rikard und rang sich ein Lachen ab. Er beugte sich zum Fenster herab. »Hallo, Martine.«
»Hallo, Rikard«, entgegnete Martine und tat so, als sei sie mit der Ladeanzeige beschäftigt.
»Ich frage mich, ob du mir einen Gefallen tun könntest«, sagte der Kommandeur. »In den letzten Tagen hat sich auf den Straßen so viel Eis gebildet, und ich habe nur Winterreifen auf meinem Auto, keine Spikes. Ich hätte das längst erledigen sollen, aber jetzt muss ich ins Fyrlyset «
»Ich weiß«, sagte Rikard eifrig. »Sie müssen zum Essen mit dem Sozialminister. Wir hoffen auf ein gutes Presseecho. Ich habe mit der PR-Abteilung gesprochen.«
David Eckhoff lächelte entwaffnend. » Gut, dass du das alles verfolgst, Rikard. Die Sache ist die, mein Auto steht hier in der Garage, und es wäre wunderbar, wenn die Spikes montiert wären, wenn ich zurückkomme. Verstehst du «
»Sind die Räder im Kofferraum?«
»Ja, aber du musst das wirklich nur machen, wenn du nichts Wichtigeres zu tun hast. Ich wollte gerade Jon anrufen, er hat gesagt, dass
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