Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Erl�ser

Titel: Der Erl�ser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesb�
Vom Netzwerk:
Nachrichten im Fernseher verfolgte, der auf einem Gestell oben an der Wand des Aufenthaltsraumes stand. Er erkannte den Platz, verstand aber nichts von dem, was sie sagten. In der anderen Ecke saß ein alter Mann in einem Sessel und rauchte dünne, selbst gedrehte Zigaretten. Sobald der Stummel so kurz war, dass er sich die schwarzen Fingerkuppen an der Glut verbrannte, nahm er rasch zwei Streichhölzer aus der Schachtel, mit denen er den Stummel fasste und tief weiter inhalierte, bis er sich die Lippen verbrannte. Die Spitze einer Fichte stand geschmückt auf einem Tisch in der Ecke und versuchte zu glitzern.
    Er dachte an das Weihnachtsessen in Dalj.
    Das war zwei Jahre nach Kriegsende gewesen, nachdem sich die Serben aus den Resten der Stadt, die einmal Vukovar gewesen war, zurückgezogen hatten. Die kroatischen Behörden hatten sie im Hotel International in Zagreb versammelt. Er fragte viele Menschen, ob sie etwas über die Familie von Giorgi wüssten. Eines Tages traf er einen Flüchtling, der zu berichten wusste, dass Giorgis Mutter während der Belagerung umgekommen und sein Vater nach Dalj geflohen sei, einer kleinen Grenzstadt in der Nähe von Vukovar. Am zweiten Weihnachtsfeiertag fuhr er mit dem Zug nach Osijekund von dort aus nach Dalj. Der Schaffner bestätigte ihm, dass der Zug weiter nach Borovo zur Endstation fuhr und auf dem Rückweg um halb sieben wieder in Dalj sein würde. Es war zwei Uhr, als er in Dalj ausstieg. Er fragte sich bis zur Adresse durch. Ein niedriges Mietshaus, ebenso grau wie die Stadt. Er ging ins Treppenhaus, fand die Tür und betete im Stillen darum, dass sie zu Hause waren, ehe er klingelte. Sein Herz klopfte, als er drinnen leichte Schritte hörte.
    Giorgi öffnete. Er hatte sich nicht sonderlich verändert. Blasser, aber mit den gleichen hellen Locken, den blauen Augen und dem herzförmigen Mund – er hatte bei seinem Anblick schon immer an einen jungen Gott denken müssen. Aber das Lächeln in seinen Augen war verschwunden, wie das Licht aus einer verloschenen Glühbirne.
    »Erkennst du mich nicht mehr, Giorgi? «, fragte er nach einer Weile. »Wir haben in der gleichen Stadt gewohnt, sind auf die gleiche Schule gegangen.«
    Giorigi runzelte die Stirn. »Ja? Warte. Deine Stimme. Du musst Serg sein, Serg Dolac. Natürlich, du warst doch der, der so schnell laufen konnte. Mein Gott, hast du dich verändert. Wirklich schön, mal jemand aus Vukovar wiederzusehen. Es sind ja alle verschwunden.«
    »Ich nicht.«
    »Nein, du nicht, Serg. «
    Giorgi umarmte ihn so lange, dass er spüren konnte, wie die Wärme zitternd in seinen durchgefrorenen Körper zurückfand. Dann zog Giorgi ihn in die Wohnung.
    Die winterliche Dunkelheit begann sich über die Stadt zu senken, während sie in der spartanisch möblierten Stube saßen und über die Ereignisse redeten, über all die Menschen, die sie in Vukovar gekannt hatten und wohin sie verschwunden waren. Als er fragte, ob sich Giorgi noch an Tinto erinnerte, den Hund, lächelte Giorgi etwas verwirrt.
    Giorgi sagte, sein Vater würde bald zurückkommen, und fragte, ob Serg nicht zum Essen bleiben wolle.
    Er sah auf die Uhr. In drei Stunden sollte der Zug wieder am Bahnhof sein.
    Der Vater war höchst überrascht über den Besuch aus Vukovar. »Es ist Serg«, sagte Giorgi. »Serg Dolac. «
    »Serg Dolac?«, fragte der Vater und musterte ihn. »Tja, du kommst mir schon bekannt vor. Habe ich vielleicht deinen Vater gekannt? Nein?«
    Als es dunkel war und sie sich an den Tisch setzten, gab ihnen der Vater große weiße Servietten.
    Er nahm sein rotes Halstuch ab und band sich stattdessen die Serviette um. Der Vater betete ein kurzes Tischgebet, bekreuzigte sich und verbeugte sich vor dem einzigen Bild, das an der Wand hing. Das Foto einer Frau.
    Als der Vater und Giorgi zum Besteck griffen, senkte er selbst seinen Kopf und murmelte:
    »Wer ist jener, der aus Edom kommt, aus Bozra in rot gefärbten Gewändern? Er schreitet in prächtigen Kleidern daher, in seiner gewaltigen Kraft. Ich bin es, ich verkünde Gerechtigkeit, ich bin der mächtige Helfer.«
    Der Vater sah ihn verblüfft an. Dann reichte er ihm den Topf mit den großen blassen Fleischstücken.
    Sie aßen schweigend. Der Wind ließ die dünnen Fenster klirren.
    Nach dem Fleisch folgte das Dessert. Palačinka , dünne, mit Marmelade gefüllte Pfannkuchen, bestreut mit Schokolade. Seit seiner Kindheit in Vukovar hatte er keinen palačinka mehr gegessen.
    »Nimm doch noch einen, lieber

Weitere Kostenlose Bücher