Der Eroberer
zitterte.
Bevor ihr Vater starb, hatte er sich bemüht, eine Vermählung für sie zu arrangieren. Ceidre war fünfzehn, als er nach einem Bräutigam für sie Ausschau hielt und siebzehn, als ihr Vater starb. Die erste Wahl des alten, mächtigen Grafen von Mercia fiel auf den zweiten Sohn eines Lords aus den nördlichen Gebieten, John von Landower, den sie während eines Ritterturniers kennengelernt hatte. Er war dunkel gelockt, von sehnigem Wuchs und sehr ansehnlich. Seine Stirn war glatt, und seine dunklen Augen leuchteten warm und freundlich. Zu wissen, dass ihr geliebter Vater diesen Mann für sie aus gewählt hatte, erfüllte Ceidre mit großer Freude. Und bald waren ihre Tage und Nächte angefüllt mit Träumen von einer glanzvollen Hochzeit, einer glücklichen Ehe und hübschen, pausbäckigen Kindern – kurzum sie träumte von einem Leben voll Glück und Sonnenschein.
John hatte den Antrag des Grafen abgelehnt.
Nicht die größten Ländereien, nicht alles Gold der Welt, keine noch so hohe Mitgift würden ihn dazu bewegen, eine Hexe zu heiraten, war seine Begründung gewesen.
Ihr Vater hatte ihr zwar gesagt, er habe seine Meinung geändert, der Bursche sei nicht gut genug für sie, doch Ceidre war die Wahrheit längst zu Ohren gekommen -im Herrenhaus wurde viel geklatscht. Vor ihrem Vater und ihren Brüdern verbarg sie ihren Schmerz, doch nachts allein in ihrer Kammer hatte sie heiße Tränen geweint, Gott angerufen und ihn voll Bitterkeit gefragt, warum Er sie mit einer Entstellung strafen musste, die sie in den Augen der Welt zur Hexe machte.
Der Graf hatte weitere Heiratskandidaten für sie ausgewählt, doch Ceidre hatte sie alle abgelehnt unter dem Vorwand, an keinem Gefallen zu finden. In Wahrheit beruhten ihre Einwände freilich auf ihrer Furcht vor einer weiteren Zurückweisung. Eine zweite Abfuhr hätte sie nicht verkraftet. Sie wusste, dass kein Mann sie zur Frau haben wollte – jetzt nicht und auch in Zukunft nicht. Mit gespielter Gleichgültigkeit lehnte Ceidre jeden Heiratskandidaten ab, den ihr Vater ihr vorstellte und begrub ihre Träume vom Glück.
Doch dieser Normanne sah sie mit lodernden Blicken an, mit hitziger Lüsternheit.
Er begehrte sie.
Guy war verwirrt von ihrer Einladung, sich zu ihr zu setzen und mit ihr zu essen. »Herrin … «
Ceidre goss Bier in einen Becher, den sie ihrem Bewacher reichte. »Ist es Euch gestattet zu trinken?«
»Selbstverständlich«, antwortete Guy. »Ich danke Euch.« Er lehrte den Becher.
Sie wusste, dass er sich näherte und mied es geflissentlich, in seine Richtung zu sehen. Doch sein durchdringender Blick zwang sie, den Kopf zu heben. Seine Miene war ohne Ausdruck, seine Schritte groß und entschlossen. Sie hielt seinem Blick stand, was ihr nicht leichtfiel. Selbst wenn sie seine Gefangene war, durfte sie ihm niemals ihre Angst zeigen.
»Genießt Ihr die milde Abendluft, mein Fräulein?« fragte er höflich, und seine blauen Augen wanderten über ihre Gestalt.
Ceidre erhob sich, und beide Männer beeilten sich, ihr beim Aufstehen behilflich zu sein. Ceidre ergriff Guys Hand.
»Bis jetzt ja«, entgegnete sie kühl. »Doch plötzlich ist es erdrückend schwül geworden.« Damit wandte sie ihm den Rücken zu und schlüpfte ins Zelt.
Rolfe starrte finster auf den Zelteingang. Dann wandte er sich an Guy, dessen Blick an einer Baumkrone heftete.
»Keine Sorge«, brummte Rolfe. »Ich strafe dich nicht.«
»Sie hat mir nur zu essen und zu trinken angeboten«, sagte Guy.
»Das habe ich bemerkt«, entgegnete Rolfe knapp und wandte sich brüsk zum Gehen.
Ceidre wartete, bis der Trank seine Wirkung tat. Nach einiger Zeit spähte sie durch den Spalt des Eingangs. Guy hatte sich gesetzt und hielt die Augen nur mit Mühe offen. Mit einem raschen Blick in die Runde bemerkte sie, dass die Normannen sich zum Essen hingesetzt hatten. Einer zupfte die Viole. Von ihrem Anführer war keine Spur zu sehen, was Ceidre mit einer Mischung aus Dankbarkeit und Argwohn registrierte. Wo mochte er sein?
Einerlei. Sie musste die Gelegenheit nutzen.
Ceidre trat an die hintere Zeltwand. Die Häute waren fest verzurrt, und sie hatte Mühe, sie an dieser Stelle hochzuziehen. Flach auf dem Bauch liegend, kroch sie ins Freie, bis sie die ersten Bäume erreicht hatte. Dort verharrte sie, horchte auf die Stimmen und das Lachen der Normannen und wünschte, es wäre Nacht.
Vorsichtig richtete sie sich in die Hocke auf und stahl sich gebückt im Schutz der Bäume vom Lager weg
Weitere Kostenlose Bücher