Der erpresste Erpresser
kam einige Minuten zu spät. Und
seine düstere Miene drückte aus: Am liebsten wäre er gar nicht gekommen.
Er schob sich durch die vorderen Räume
und bemerkte den Typ mit dem Geier-Gesicht sowie den bebrillten Jungen, der —
lang und dürr — an einem Eisbecher löffelte.
Das Hinterzimmer. Nur ein Tisch war
besetzt. Da konnte man nicht fehlgehen. Trotzdem hob sich winkend ein Arm.
Tückls Arm.
Fabian Gudwede — so nannte er sich zur
Zeit — steuerte dorthin, abweisend das bärtige Gesicht. Ihn schien zu ärgern,
daß Tückl nicht allein war.
„Hierher, Gudwede!“ rief Tückl. „Nicht
so schüchtern.“
Der Zombie-Typ sah heute noch
kränklicher aus. Sein Grinsen erinnerte an Szenen aus einem Horror-Film.
Ihm, Tückl, gegenüber saßen zwei
Italiener. Ein Stuhl war noch frei.
„Setz dich!“ sagte Tückl. „Und red nur,
wenn du gefragt wirst, Gudwede! Klar? Diese Herren — das sind Luciano Pestili
und Vittorio Melfioso. Du heißt Fabian Gudwede. Richtig?“ Gudwede ließ sich
nieder. „Was soll das? Ich...“
„Ob du so heißt?“
„Mann, das wissen Sie doch.“
„Aber die beiden Herren wissen es noch
nicht. Also?“
„Ja, das ist mein Name“, sagte Gudwede
durch die Zähne. „Und wer sind die beiden? Ihre Komplizen?“
„Was heißt hier Komplizen, Gudwede?“
Tückl senkte die Stimme. Aber sie war ohnehin nur am Tisch zu verstehen. „Wer
hat denn gemordet? Du oder ich?“
Gudwede hielt den Atem an, schloß die
Augen wie unter Schmerz. „Muß das sein, daß Sie hier rumposaunen?“
„Hier hört keiner mit. Niemand in der Nähe.“
Tückl beugte sich vor. Für einen Moment schien er nach Luft zu ringen. Sein
Gesicht wurde noch fahler. „Damit du begreifst, Gudwede: Ich will dich
verkaufen. An diese beiden Herren. Natürlich kaufen sie nicht die Katze im
Sack. Deshalb...“
„Verkaufen?“ Gudwede starrte von einem
zum andern. „Was heißt das?“
Tückl lehnte sich zurück. „Ich erklär’s
dir. Du kennst mich seit drei Jahren. Wie sah ich damals aus? Und wie heute?
Siehste! Die Ärzte geben mir noch zehn Monate. Höchstens.“
„Sind... Sie krank?“
„Sag um Himmels willen nicht, daß es
dir leid tut. Du hättest mich längst umgebracht, wenn du könntest.“
„Richtig!“ Gudwede schnippte mit den
Fingern. „Nicht soviel tut’s mir leid.“
Pestili grinste über sein
Piratengesicht.
Melfioso glotzte, verzog aber keine
Miene.
Bei Tückl gruben sich tiefe Furchen
rund um den Mund. Ein fragender Blick zu Pestili. Der nickte. Tückl nahm eins
der Gläser, die kopflings auf dem Tisch standen, und schenkte sich ein aus der
Weißwein-Karaffe. Fabian Gudwede erhielt nichts.
„Ich will“, sagte Tückl, „daß wir alles
klären. Also, Gudwede: Seit wann zahlst du mir Schweigegeld?“
„Schweigegeld?“ Gudwede verzog das
Gesicht. „Sie erpressen mich. Warum sagen Sie das nicht? Sie sind ein
Erpresser.“
„Na, schön. Bin ich. Seit wann?“
„Seit genau 34 Monaten.“
Gudwede griff in die Brusttasche, zog
ein Kuvert heraus und legte es vor Tückl auf den Tisch.
„Aha“, meinte der Zombie.
„Ja, aha! Hier sind wieder 1000 Mark.
Die monatliche Rate. Macht insgesamt 34 000 DM, die Sie aus mir rausgepreßt haben.“
Tückl wandte sich Pestili zu. „Wie
ich’s Ihnen sagte. Gudwede hat kein Vermögen, aber die monatliche Rente. Sein
Vater war ein wohlhabender Mann. Weil er merkte, daß mit seinem Sprößling nicht
viel los ist, hat er für ihn eine Versicherung abgeschlossen. Tierisch hohe
Prämien mußte er einzahlen. Aber es hat sich gelohnt. Mit seinem Tod wurde die
Rente fällig. Seitdem erhält Gudwede monatlich 1000 DM — bis ans Ende seiner
Tage. Der Versicherungsvertrag schließt aus, daß er sich alles auf einmal auszahlen
läßt. Leider. Sonst hätte ich ihn, Gudwede, dazu längst gezwungen. Aber auch so
ist es eine gute Sache. Denn wie gesagt: Den Tausender liefert er Monat für
Monat bei mir ab. Sonst wäre es aus mit unserem Sportsfreund. Für seinen Mord
gibt es lebenslänglich. Da sind nämlich nirgendwo mildernde Umstände.“
Pestili beugte sich vor. „Und wovon
lebt er?“
„Von dem, was er als Tankwart verdient.
Muß reichen, und das tut’s auch.“
Die beiden Italiener musterten Gudwede.
„Na, wie finden Sie ihn?“ fragte Tückl.
„Er ist 44 und kerngesund. Noch Jahrzehnte wird er die Rente kassieren und
Ihnen abliefern. Ihnen natürlich nur, falls wir uns einig werden.“
„Ich kann nicht ganz folgen“, sagte
Gudwede.
Weitere Kostenlose Bücher