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Der erschoepfte Mensch

Der erschoepfte Mensch

Titel: Der erschoepfte Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rotraud A. Perner
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propagieren, wie man aus der Werbung für Uhrenmarken an den Planken, die die Pisten begrenzen, ersehen kann. Aus diesem Grund habe ich es sehr anerkennenswert gefunden, dass die österreichischen Abfahrtssportler/innen geeint darauf hingewiesen haben, dass die Schädlichkeitsgrenze der Vertretbarkeit körperlicher Herausforderungen erreicht sei; das hatten mehrere schwere Verletzungen infolge der Hochgeschwindigkeiten deutlich gemacht. Es ist aber zu befürchten, dass die Schiindustrie in der nächsten Wintersaison mit Materialverbesserungen, die Organisatoren des Schizirkus hingegen mit noch mehr Mentaltrainings kontern und die Athleten mit noch höheren Prämien verführen werden. Gleichzeitig wird aber auch die Zuseherschaft mit der Aussicht auf den Kampf gegen die Zeit verlockt, sich dem Bewegungstempo anzupassen, zumindest mit der Atmung, auch wenn man mit der Chipstüte auf der Couch darniederliegt. So wird der mitfiebernde Zuschauende gleichfalls unbewusst an Rasanz gewöhnt und damit an die Alltagshetze im Beruf durch die permanent gesteigerten Arbeitsanforderungen.
    »Alle Hast kommt vom Teufel«, zitiert James Hillman eine Weisheit des Volksmunds, und erklärt: »Psychologisch ausgedrückt heißt das, dass in unserem seelischen Verarbeitungstrakt der Teufel sitzt, wenn wir mehr Ereignisse ›bekommen‹ als wir auch wirklich erfahren können. Was wir aber wirklich erfahren, indem wir es in einem imaginativen Prozess verarbeiten, retten wir aus den Turbulenzen der Zeit und aus unserer eigenen Ignoranz. Wir besiegen den Teufel, indem wir einfach stillstehen.« 42
    In den Märchen ist es immer der Gottseibeiuns, der mit Aussicht auf finanziellen Gewinn und Erfolg bei den Frauen die Seelen kauft. Und dort gibt es dann auch meist ein liebendes Weib, das aus Unschuld – d. h. noch nicht schuldig geworden, weil selbst den Verlockungen von Gier, Geiz und Neid erlegen – die Falle erkennt und sich vergebens bemüht, den Geliebten vom Abweichen vom rechtschaffenen Weg abzuhalten. Sehr treffend hat Wilhelm Hauff in »Das kalte Herz« beschrieben, wie der arme, aber ursprünglich redliche Kohlenmunk-Peter sein Herz dem unheimlichen Holländer-Michel dafür verkauft, dass er immer so viel Geld in der Tasche hat wie der reiche Ezechiel und besser tanzen kann als der Tanzbodenkönig. Er macht nur den Fehler, mit Ezechiel Karten zu spielen – und da dieser verliert, hat er zuletzt genauso kein Geld in der Tasche wie dieser, erkennt aber dafür seine eigene Torheit.
    Heute tappen auch immer mehr Mädchen und Frauen in diese hochstilisierte Konkurrenzfalle, wollen epilieren und schon gar nicht transpirieren und sich chirurgisch ein Einheitsgesicht auf einen Einheitskörper setzen lassen, nur um nicht an den künstlich hervorgerufenen Unterlegenheitsgefühlen leiden zu müssen. So fließt ihnen Energie weg und in die Kassen der Produkt- und Dienstleistungsanbieter (Psycho-Berufe durchaus mitgemeint).
    Abwertend kritisiert zu werden kann die Qualität eines Minitraumas besitzen, und je größer die Öffentlichkeit ist, in der jemand diese Schmach widerfährt, desto größer und schwerwiegender wird die Traumatisierung. Als Nachwirkungen sind wie bei allen Traumata beispielsweise Verlust an Sicherheit, Einbußen an Selbstachtung, Vermeidungsverhalten, Intrusionen und Flash Backs, Zwangsgedanken und Zwangshandlungen, Schlafstörungen und auch psychosomatische Symptombildungen als Folgeerscheinungen wahrnehmbar. Meist erfolgt dann noch eine Sekundärtraumatisierung durch nahestehende Personen, die nun wegen dieser Verhaltensphänomene neuerlich verständnislos, abwertend, nörgelnd oder sogar verachtend reagieren. Dass dabei Schritt für Schritt Energie verloren geht und die betroffene Person in einen schwerwiegenden Leidenszustand oder gar in soziale Isolation geraten kann, ist als Folge von Mobbingerfahrungen in der Berufswelt in den letzten Jahren vermehrt zur Kenntnis genommen worden, nicht aber in anderen sozialen Feldern wie etwa Schule oder Freizeitplätzen, und schon gar nicht als verinnerlichtes Unzulänglichkeitsgefühl, das sich leicht breit macht, wenn man nicht den Vor-Bildern der Fernsehwerbung – immer cool, immer smart, immer deo-duftend, immer haarlos, immer vom anderen Geschlecht umschwärmt … – entspricht.
    »Menschsein bringt gewisse Gerüche, Geräusche und Haarwuchs an bestimmten Stellen mit sich«, erinnerte der unkonventionelle Bildungsprofessor an der St. John’s University in New York, Wayne W.

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