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Der erschoepfte Mensch

Der erschoepfte Mensch

Titel: Der erschoepfte Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rotraud A. Perner
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anderwärtig verloren gehen kann, suggerieren Versicherungsgesellschaften, dass man wiederum im gleichen System der Finanzwelt Unsicherheiten verhüten könnte. (Womit ich keineswegs Kritik am Prinzip der solidarischen Kostentragung bei gleichen Risiken üben möchte, sondern nur an der Angstmache bzw. kurzsichtigen Entlastungshoffnung, weil sie oft zum Auslagern von Verantwortungsdenken führt – wie ein Kind seiner Lehrerin sagte, nachdem es etwas zerstört hatte: »Wir sind eh versichert!« 49 )
    Dass man nach Sicherheit strebt, wenn man sich unsicher fühlt, birgt die Gefahr in sich, falschen Versprechungen zu erliegen.
SUCHTGEFAHREN
    Von Alkoholkranken kann man als Begründung für einen Rückfall oft den Satz hören: »Mir ist es einfach schlecht gegangen.« Mit »schlecht« sind dann entweder Entzugserscheinungen gemeint, denn wenn noch nie jemand erklärt hat, wie sich Entzugssymptome bemerkbar machen, kann man sie nicht erkennen. Zur Wahrnehmung braucht man immer zuvor spezifische Wahrnehmungsneurone, zum Handeln dazu noch Handlungsneurone. Je komplexer die Aufgabe ist, die man zu bewältigen hat, desto vernetzter muss die zugehörige Neurosignatur sein – das entspricht der Erfahrung, wenn man die Beherrschung einer komplizierten Maschine lernt oder eine Fremdsprache oder ein Musikinstrument zu spielen etc. Man weiß es vom Tun – meist weiß man es nicht vom neurophysiologischen Prozess her.
    So wie Schokolade hebt auch Alkohol den Zuckerspiegel, sogar noch viel schneller. Körperlich. Nebenerscheinungen – Zerstörung von Gehirnzellen – inklusive. Es gibt ja noch viele andere Ersatzmittel für verloren gegangene Energie – Substanzen, aber auch Verhaltensprozesse.
    Beispielsweise bedeutet auch Geld Energie – zwar eingefrorene Energie, aber dennoch wirksam als Anziehungspunkt für diejenigen, die hoffen, genährt zu werden oder anderwärtig partizipieren zu können. Als Kind schon sieht man Dagobert Duck ekstatisch in Goldstücken baden, während seinem armen Neffen Donald so gar nichts zu gelingen scheint – außer seinen Beziehungen zu seinen Neffen Tick, Trick und Track, während Onkel Geizhals in Einsamkeit genau das entbehrt, was wirklich nährt: Liebe.
    Geld hilft aber auch, sich die Dinge zu kaufen, mittels derer man Aufmerksamkeits-, Zuwendungs- und letztlich Liebesenergie zu erzielen hofft: Kleidung, Kosmetik, Kraft-Fahrzeuge (welch passender Name!) oder auch »Zeichen auf der Haut«. Bildung und Charme hingegen sind unmodern geworden, sie passen nicht ins Zeitalter des Narzissmus, erfordern sie doch von vornherein einen Austauschpartner, das zeigt die jüngste Gehirnforschung hinsichtlich der Entstehung von Spiegelneuronen. 50 Die Qualität zwischenmenschlicher Beziehungsformen erwerben wir im Austausch mit Bezugspersonen. Wenn wir auf diese Weise keine positiven Erfahrungen gewinnen konnten bzw. die negativen überwiegen, wird verständlich, weshalb manche Menschen ihre Ersatzmittel lieber aus dem realen Giftschrank beziehen als sich weiter von Menschen vergiften zu lassen.
    Die Qualität zwischenmenschlicher Beziehungsformen erwerben wir im Austausch mit Bezugspersonen.
    Ohne Nebenwirkungen, dafür aber mit meist hoher sozialer Anerkennung können Arbeitssüchtige rechnen, die sich mit Bergen von Arbeit vor zwischenmenschlichem Kontakt und damit ebenfalls psychischer Intoxikation bzw. Energieverlust schützen wollen.
    Nach Marilyn Machlowitz 51 lassen sich vier Ausdrucksformen von Arbeitssüchtigen typisieren:
    ~ »Eingleisige« haben keinerlei andere Interessen.
    ~ »Vielseitige« sind quasi mit ihrer geliebten Arbeit »verheiratet«.
    ~ »Hans-Dampf in allen Gassen« verzettelt sich, weil er oder sie sich für zu viel gleichzeitig interessiert.
    ~ »Passionierte« machen alles zur Arbeit, auch ihre Freizeitaktivitäten.
    Von einseitigen Erklärungen von Arbeitssucht wie Identifikation mit einem besonders tüchtigen Elternteil, Furcht vor Langeweile, eigener Trägheit oder Schwäche und Kontrollzwängen 52 halte ich nichts – eher sehe ich aufgrund meiner psychotherapeutischen Erfahrung den Schmerz bestimmend, in der Prioritätenliste einer geliebten Person weit hinten oder gar nicht vorzukommen. Ich sehe nicht die Identifikation mit Tüchtigkeit, sondern die Nachahmung des Kontaktvermeidungs- bzw. Energieverweigerungsmusters. Dazu können dann noch schwarzpädagogische Erziehungsmuster oder Provokationen durch einen »Kaktusboss« 53 treten, die aber auch wieder auf diese Quelle

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