Der erschoepfte Mensch
der Kreativität, wieder zu spüren. Hier setzen unterschiedliche Elternersatzberufe an – von Wirtsleuten über Coaches und anderen beratenden und helfenden Berufen bis zu Prostituierten. Oft spenden sie nur scheinbar Zuwendungsenergie und nehmen stattdessen Geldenergie, so wie der Gauner Thénardier im Musical »Les Misérables« singt: »Immer herein! Ich krieg’ Sie satt! Ich bin der beste Wirt in der Stadt. Die Konkurrenz panscht und betrügt, rechnet euch schwindlig, knausert und lügt. Selten finden Sie soviel Sympathie, ein Ehrenmann bin ich, drum beehr’n Sie mich! Ich bin Herr im Haus, schleimig und charmant. Halte
meine
auf und küsse
Ihre
Hand. Ich bring euch in Schwung, manchmal auch in Wut, meine Gäste lieben mich als Tunichtgut …«, und weiter verrät er seine Strategien: »Alles erste Wahl, weiß doch jedes Kind, stopf es in den Fleischwolf und schon nennt sich Rind. Leber von der Katz, Niere aus dem Pferd, Inhalt unsrer Wurst kenn ich nur ungefähr … welches Zimmer darf ich richten? Voll ist nur die Hochzeits-Suite! Preis ohne Extras – was dann ein paar Extras nach sich zieht! Aufschlag für die Laus, Extra für die Maus, zwei Prozent sind Stufengeld fürs Treppenhaus …«
In Hans Christian Andersens Märchen von »Des Kaisers neue Kleider« braucht es die »Stimme der Unschuld« – nämlich eines kleinen Kindes, das noch ohne Arg und Angst ist, und enttarnt, dass die Luftschneider dem Kaiser Luftkleider verkauft hatten – allerdings ohne viel Erfolg, denn, wie bei Politikern häufig als »Steherqualität« zu beobachten: »›Aber er hat ja gar nichts an!‹ rief zuletzt das ganze Volk. Das ergriff den Kaiser, denn das Volk schien ihm recht zu haben, aber er dachte bei sich: ›Nun muss ich aushalten.‹ Und die Kammerherren gingen und trugen die Schleppe, die gar nicht da war.« 58
»Der Coach ist nicht der einzige Parasit, der sich an der gerissenen Beute weidet«, ätzt ähnlich die Volkswirtin und Psychoanalytikerin Corinne Maier. »Das Unternehmen gibt Millionen für zahllose ›Spezialisten‹ in Controlling und Beratung aus, die dafür bezahlt werden, dass sie sagen, was ihr Gesprächspartner hören will, und die Entscheidungsträger in ihren innersten Intuitionen bestärken.« 59 Die innerste Intuition laute dabei: mehr Gewinn – und als Strategie zur Zielerreichung empfehlen die »Lüftler« 60 ihre Kostenanalysen zur Einsparung. Dass sie dazu lange Zeit im Betrieb »mitlaufen« müssen, um in Beobachtungen und vielen Gesprächen zu erheben, wo Kosten eingespart werden können, was natürlich hohen Kostenaufwand verursacht, wird als logische Voraussetzung verkauft. Würde man in sogenannten Qualitäts-Zirkeln im partnerschaftlichen Dialog die Mitarbeiterschaft befragen, käme man zwar schneller und vor allem viel billiger zu den gleichen Ergebnissen. Warum das nicht geschieht, liegt am Vorurteil, man bräuchte für alles Experten – dabei sitzen die wahren Expert/innen für die eigene Arbeit ohnedies bereits an den Schreibtischen oder stehen an Werkbänken etc. – und am Misstrauen, die Mitarbeiterschaft könnte ohne Eigensucht an Verbesserungen mitgestalten.
Was sich zu nah befindet, sieht man oft nicht – ebenso wie das, was zu entfernt ist. Das Expertentum der Betroffenen zählt oft zu dem, was durch Nähe verschwimmt – die Inkompetenz der sogenannten Experten hingegen kann oft durch abgehobene Inszenierungen Talmi als echte Gloriole erscheinen lassen – so wie im gleichnamigen Film der »Zauberer von Oz« mit Hilfe seiner ferngesteuerten Riesen-Kopfmaschine das Mädchen Dorothy beeindruckt, bis ihr Hund den Vorhang wegzieht, hinter dem der schlichte Scharlatan das zugehörige Schaltpult für seine »Licht-Spiele« bedient.
LICHTSPIELE
Ich spreche oft von »Lichtspieltheater« und meine damit die Inszenierung von Illusionen – was ja auch im Kino geschieht. Es wird eine Interpretationsmöglichkeit eines Drehbuchs ins Licht gerückt, während andere Möglichkeiten nicht realisiert werden, sondern im Dunkeln bleiben oder auch bleiben sollen.
Die »Luft-Berater« zeichnen üblicherweise eine Vision von steigendem Gewinn bei Minimierung von Personalkosten. Diese bestehen entweder in Erhöhung der Arbeitsportionen für die einzelne werktätige Person oder in der Verteilung des weitgehend gleichen Arbeitsanfalls auf weniger Personen – eine reine Schreibtischrechenaufgabe. Was einer Durchschnittsperson zugemutet werden kann, ohne deren Gesundheit zu schädigen, wird
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