Der erste Sommer
Handtasche umklammert, sagt er:
»Mein Chauffeur ist einmal Musiker gewesen, aber jetzt ist er fast stumm. Der Kehlkopf. Nun ja, ich habe das Rauchen schon lange im Verdacht. Ich werde mich damit beschäftigen. Aber Klarinette spielen kann er noch. Ein Weib läge mir mehr, aber natürlich nicht am Steuer. Mein Metier ist das Weibliche. Das Ewig-Weibliche zieht uns hinan – und hinab.« Er unterstreicht seine Worte mit fahrigen Bewegungen seiner fleischigen Hände und blinzelt ihr zu. Nach einer Weile fügt er, auf den stummen Fahrer deutend, flüsternd hinzu: »Eigentlich suche ich eine Sekretärin oder eine Krankenschwester. Aber Sie kennen ja den Arbeitsmarkt. Man muss über jedes Menschenwesen froh sein, das überhaupt willens ist zu dienen, statt nur zu lamentieren über die schlechten Zeiten. Wobei ich sagen muss, selbst während des Krieges war das Gesundheitswesen immer intakt, doch heute ist es eine Katastrophe!«
Ohne einmal in den Rückspiegel zu sehen, wendet der Fahrer die Limousine und biegt auf den Feldweg zur Hauptstraße. Tosca sieht aus dem Fenster, zählt die Bäume der Allee am Wegesrand.
»Solche wie Sie habe ich vor dem Schlimmsten bewahrt«, versucht sich Klammberg bei Tosca einzuschmeicheln.
»Ach ja?« Sie hört mit dem Zählen auf.
»Ich habe meine berufliche Zukunft aufs Spiel gesetzt dafür, damit alle Perversen überleben können. Ohne Perversion kein Genie. Ohne Genie keine Kunst. Auch das Mann-Weib will leben, in der Kunst soll es leben! Da hat es seinen angestammten Platz.«
Tosca sagt kein Wort. Sein Blick weicht dem ihren aus.
»Meinen Sie, ich hätte es einfacher gehabt als Sie?«, fuhr der Professor fort. »Aus Berlin heimzukommen, nach allem, was passiert ist. Und nichts ist mehr da. Das Haus in Trümmern, die Praxis, das ganze Lebenswerk in Trümmern. Die Frau, die Kinder, alles vernichtet, und die Asche in alle Winde zerstreut. Hätte man nicht die Kunst, man müsste verzweifeln.« Er nimmt ihre Hand, drückt sie und sagt mit Wärme: »Sie sind eine schöne –« Er stockt, schluckt das Wort »Frau« hinunter und küsst stattdessen ihre Hand, berührt sie mit feuchten Lippen, schleckt sie fast ab.
»Ich bin gar nichts, weder Mann noch Frau.« Sie entzieht ihm die Hand.
»Ich verehre Sie schon so lange«, erklärt Klammberg voller Glut. »Immer muss ich an Wagner denken. Wenn am Ende der ›Götterdämmerung‹ der Neue Mensch dasteht und zusieht, wie die alten Götter verbrennen in ihrer Burg! Mich selbst sehe ich am Rande der Lohe stehen, immer nah am Abgrund! Ich habe Wagner leidenschaftlich auf dem Klavier gespielt, auch das italienische Fach, aber letztlich immer wieder Wagner und Puccini. Vielleicht hätte ich Musik studieren sollen, wie mein Fahrer. Die Medizin ist nichts für Empfindsame. Der Mensch, in seiner Zerbrechlichkeit, ein Zerrbild der Götter.«
Sie biegen auf die Hauptstraße, die nach München führt. Er hat getrunken, Tosca riecht Schnaps und Sekt. Ihr wird übel. Er bemerkt es nicht einmal.
»Seit es die ›Engelsburg‹ gibt, bete ich Sie an. Es war mir von Anfang an klar, dass wir füreinander geschaffen sind. Die Weiblichkeit Ihrer Kunst. Irgendwann habe ich mich auch auf das Gynäkologische spezialisiert. Logos steckt in dem Wort, das hat noch niemand bemerkt außer mir. Der männliche Arzt ist der Stachel im Gynäkos der Frau! Diese Geburten! Ich habe mit Geburten begonnen, täglich, von acht Uhrmorgens bis zehn Uhr abends, Blut. Acker. Der Muttermund, der das Kind entlässt in die Verworfenheit, die Sünde. Bis zum Stiefelschaft im Dreck des Lebens bin ich gewatet. Dann habe ich mich auf die Forschung geworfen. Was macht die Frau zur Frau? Ihr Zyklus. Dem wollte ich auf die Spur kommen. Dem Geheimnis des weiblichen Zyklus. Der Eisprung, ewig sprudelnder Quell des Dionysischen. Alle Monate wieder diese Einzigartigkeit des Ursprungsgeschehens. Letztlich lassen sich alle Probleme des Lebens auf hormonelle Fragen reduzieren. Die Hormone sind die Schlüssel für unsere Zukunft, merken Sie sich das! Ganze Enzykliken habe ich über das Wunder des Weibseins geschrieben. Ergebnisse, die sich einprägen werden in den sanft mahlenden Strom der gynäkologischen Forschung.«
Tosca summt eine Melodie. Sie möchte ihm nicht zeigen, wie sehr ihr sein Geschwafel auf die Nerven geht, wie sehr sie ihn verabscheut. Denn sie braucht ihn, er kann ihr behilflich sein. In ihrer Situation ist sie auf Hilfe angewiesen.
»Ich habe es für mein eigenes Gewissen
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