Der erste Sommer
Blick betrachtet haben, sorge ich dafür, dass Ihnen auch das andere Bein amputiert wird, mitsamt dem Teil, das dazwischen baumelt.«
Andras zog die Bettdecke hoch und stotterte: »Katharina? Welche Katharina? Es muss sich um ein Missverständnis handeln. Ich würde nie ein Mädchen … Nein, es geht um Martin. Er ist wahrscheinlich Amerikaner, vielleicht aber auch nicht.«
»Können Sie sich in Ihrem verlausten Verbrecherschädel vorstellen, wie vielen Martins ich in meinem Leben begegnet bin? Was will dieser Martin von mir?«
»Ich weiß es nicht.«
»Dann soll er mich in Frieden lassen.« Wieder öffnete er die Flasche, trank und schob sie unter seine Decke. »Die Kunst, das Gebären, alles eins. Die Kunst kommt und geht in den Tod. Deswegen«, er erhob die Stimme, »hüte dich vor der Unfruchtbarkeit. Die Zeugungskraft ist unsere einzige Waffe gegen das Weib.«
Andras nickte ergeben ins Dunkel. Er verstand kein Wort.
»Leben und Tod. Die höchste Kunst verbindet beide im Schöpfungsakt. Dieses Weib, es sang, nur für mich. Es war Passion auf den ersten Ton. Sie hauchte ihr Leben aus für mich. Tosca. Die Vollendung der Oper. Puccini! Wagner und Verdi, vom einen die Kraft, vom anderen das Melos, das Italienische, die Zypressen, die endlosen Zitronenhaine. Über uns blitzten die Sterne, wir beide allein im Nationaltheater, in der Kunststadt München. Die göttliche Sängerin und ich. Die Kunst und ich. Sie ist Tosca mit Leib und Seele, lebte in ihrer Rolle auf den eigenen Tod hin.« Er schnäuzte sich lautstark. »Morphiumabhängig, finales Stadium, habe es gleich gesehen. Das kann die Kunst beflügeln, heiligen. Extreme Suizidgefahr, sagte der Mediziner in mir, aber der Genießer, der Kunstmensch, der lauscht, gibt sich hin. Sie kam näher, singend, zu mir, ihrem einzigen Zuschauer, umgarnte mich mit ihrem Gesang. Eine Sirene, ich Odysseus, festgezurrt im Bann höchster Genießerschaft. Sie war Tosca, eine Ausdruckskraft sondergleichen. Sie musste geradezu versuchen, mich zu töten, sie konnte gar nicht anders. Sie nahm den Dolch und stieß ihn Scarpia in die Brust. Ha! Bis zum Schaft. In diesem einen Moment sah sie in mir das vollendet Böse, die Fratze des Lebens, die die Kunst herabzerrt in den Morast der Zeugung, freigelegt von der heilenden Kraft der Musik und der Liebesglut, die ich in ihr entfachte. Ich verzeihe ihr. Sie musste. Es war das Fatum.«
Der Fleischberg ließ sich erschöpft auf sein Kissen zurücksinken. Andras verhielt sich still. Er hatte nicht alles verstanden, aber es hatte bewegend geklungen.
»Gottes Fügung habe ich es zu verdanken, dass die Morphiumspritze – denn es war nur eine Spritze, für Tosca natürlich ein Dolch – im Brustbein feststak.«
»Sie haben es also überlebt!«, sagte Andras erleichtert.
»Dank eines Mannes. Die Rettung kommt immer vomMann. Mein Fahrer hat mich herausgeschleift und versorgt. Hat ihm aber nichts gebracht. Ging schnell zu Ende nach ein paar Wochen. Final, der Kehlkopf, nichts zu machen.« Er hustete. »Muss selbst auch aufpassen. Sie aber, meine Sängerin, mein Abendstern, am Ende ihrer Kunst und ihres Lebens, spielt die Rolle zu Ende. Und stürzt sich, meine weidwunde Tosca, vor meinen Augen von der Engelsburg in den Tod. In der Kunst für mich geboren und gestorben: so ward sie mein Weib, so verschwand sie … und nun gute Nacht.«
Um ein Haar hätte Andras applaudiert, er war zwar noch nie in der Oper gewesen, aber genau so stellte er es sich vor. Doch er benötigte seine Hände, um die Erregung unter der Bettdecke niederzuhalten. Bevor sich der Fleischberg endgültig umdrehte, um bis zum Morgen durchzuschnarchen, sagte er noch konziliant:
»Übrigens, falls Sie irgendwann einen ausgezeichneten Arzt für Ihre Frau suchen, mein Name ist Professor Klammberg.«
30
Der erste Akt hält für Tosca keine Schwierigkeiten bereit. In ihm triumphieren die anderen. Dennoch muss sie hellwach bleiben, um ihren Einsatz nicht zu verpassen.
»Mein Name ist Claus Klammberg, den Professor schenke ich Ihnen, aber den Claus bitte mit ›C‹.«
Galant hält er Tosca beim Einsteigen in den schwarzen Mercedes die Hand, knallt die Tür dann aber rücksichtslos zu und klatscht beim Umrunden des Wagens siegessicher in die Hände. Vom Rücksitz beugt sich Klammberg zu dem Fahrer vor.
»Zum Nationaltheater. Auf direktem Weg.« Er lässt sich in das weiche Lederpolster zurücksinken und lockert seine Krawatte. Zu Tosca gewandt, die mit beiden Händen ihre
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