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Der erste Sommer

Der erste Sommer

Titel: Der erste Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maximilian Dorner
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ein Staat, der für einen sorgte, wenn es einem nicht gut ging … Das Gartenhäuschen würde sie abreißen und stattdessen eine Schaukel aufbauen lassen. Darum herum würde sie Baumwolle anbauen und Blumen säen. Hier würde sie eines Tages heiraten. Die Hochzeit ist der wichtigste Tag im Leben einer Frau, hatte sie in ihrem Buch gelesen. Wie dumm, dass sie die Stelle nicht mehr nachprüfen konnte. Dennoch, es war bei Ferdinand gut aufgehoben, er würde es wie seinen Augapfel hüten und es bis zum letzten Mann verteidigen. Für eine Hochzeit mit Ball wäre der Garten zwar zu klein, wenn alle Panther kämen, aber er würde bestimmt eine Lösung dafür finden. Sie konnte sich immer noch nicht recht vorstellen, wie die Panther aussahen, sie kannte nur Ferdinand, immerhin einen ihrer Anführer. Und Sophie, aber die zählte nicht. Und die beiden anderen Jungen auch nicht. Dass die Bande gefährlich war, ahnte sie. Dass sie töteten, ohne mit der Wimper zu zucken. Um zu überleben. Und dass sie von ihnen nichts zu befürchten hatte, so lange sie Ferdinands Gefangene war.
    Sie fasste sich an die Stirn. Diese Träumereien von Hochzeit und Zukunft waren gefährlich, das wusste sie wohl, konnte aber der Verlockung nicht widerstehen. In Wirklichkeit warFerdinand ein verlauster Junge, der Gemüse stahl und Flecken auf der Hose hatte. Nicht einmal lesen und schreiben hatte er gelernt, wie der letzte Nigger. Ein Junge, zu dem seine tiefe Stimme gar nicht passte. Nichts weiter war er. Nein, das war nicht gerecht, unterbrach sie sich. Er war ein Räuber. Er war ihr Räuber. Sie summte ihr gemeinsames Lied. Horchte nach dem letzten Ton in die Nacht und war selig.
    Von einer Hochzeit hatte Katharina nur sehr ungenaue Vorstellungen. Es ging um Lebensentscheidendes, das war klar. Sie stellte es sich ein bisschen vor wie jene Nacht im Luftschutzkeller, als nach der Entwarnung alle lachend die Champagnerflaschen der geflohenen Nachbarin leer tranken. Auch den Kindern war eingeschenkt worden. Sogar Ewald hatte davon abbekommen, obwohl er Alkohol nicht vertrug. Das war wenige Tage, bevor das Haus von einer amerikanischen Bombe getroffen wurde. Ihre Mutter kümmerte sich um nichts. Sie hatte nur Augen für den fremden Mann, der sie angeblich beschützte. Von wegen beschützen. Sie warf sich jedem an den Hals, seit Vater nach Berlin gegangen war. Die Frau im Bahnhof hatte Recht gehabt, ihre Mutter war eine Hure.
    Katharina schlug sich erschreckt auf den Mund. Über ihr gurrte eine Taube, die in der Regenrinne saß und den Kopf vorstreckte.
    »Verschwinde!«, zischte Katharina nach oben. »Hau ab! Das ist mein Haus!«
    Wie sie es auch wendete, aus der Hochzeit würde nichts werden, wenn Ferdinand nicht um ihre Hand anhielt. Dazu müsste er sich zuerst einmal blicken lassen. Er mied sie, sie spürte es, weil er hin- und hergerissen war zwischen seiner Pflicht als Räuberhauptmann und ihr.
    Sie ballte die Fäuste. Der Grund, warum er nach der Nacht mit dem Grammophon nicht mehr kam, hatte einen Namen:Sophie. Mit ihrem ordinären Zopf und ihrem Futterneid. Was fand er nur an ihr? Vielleicht hatte er Sophie schon ein Versprechen gegeben, bevor er sie kennen gelernt hatte, und fühlte sich ihr gegenüber verpflichtet? Anders konnte sie es sich nicht erklären. Katharina musste etwas unternehmen, dieser Zustand war für keinen der Beteiligten weiter zu ertragen. Nicht einmal für die arme Sophie. Sie musste eine Entscheidung herbeiführen zwischen sich und ihr. Nur eine konnte überleben. Die Taube gurrte wieder.
    »Du wirst schon sehen«, flüsterte Katharina, »in ein paar Tagen werden wir wissen, wer hier bestimmt.«

32
    Als Andras am Morgen erwachte, lag er alleine im Krankenzimmer. Selbst das Bett des Professors war bereits verschwunden. Von der Einrichtung waren nur die zugezogenen Vorhänge noch da. Hätte nicht alles durchdringend nach verschüttetem Kartoffeleintopf gerochen, er hätte das Gespräch mit dem Professor für einen Traum gehalten. Selbst die Scherben waren weg. Wie konnte er nur so fest geschlafen haben?
    Noch nie in den letzten Jahren hatte er sich so wach und voller Tatendrang gefühlt. Er würde Martin alles berichten über diesen Professor, der so beeindruckend reden konnte. Jetzt erst bemerkte er, dass er zum ersten Mal seit seiner Kindheit die Prothese nicht zum Schlafen abgenommen hatte. Ein gutes Omen. Eine neue Epoche war angebrochen! Das Wort »Epoche« hatte er noch nie verwendet, es fühlte sich gut an. Laut

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