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Der erste Sommer

Der erste Sommer

Titel: Der erste Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maximilian Dorner
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Geste herein, nachdem dieser erklärt hatte, über die tragische Münchner Tosca einen Film drehen zu wollen. Während er die Tür hinter sich schloss, stand der Studienleiter vom Flügel auf und begann, in einem Wandschrank Klavierauszüge zu sortieren.
    »Die Tosca hat bei uns eine Viorica Ursuleac, eine Hildegarde Ranczak und eine Maria Nezadal gesungen. Aber keine Heidemarie Irmler, oder welchen Namen nannten sie noch? Klammberg? Was für banale Namen! Noch nie von ihnen gehört.« Er fuhr sich durch sein dünnes, auf die Schulter fallendes Haar, um hoheitsvoll fortzufahren: »Und wenn ich sie nicht kenne, kennt sie niemand, junger Mann. Vielleicht eine Soubrette aus der Provinz?« Er war um die sechzig und trug eine eng geschnittene, karierte Weste über einem schwarzen Hemd und ein lilafarbenes Halstuch. »Wir sind ein bedeutendes Haus. Ein Bollwerk inmitten der Trümmer der Zivilisation!« Seine Stimme war eine Spur zu schrill. Er zog seine Taschenuhr aus der Westentasche und ließ sie aufschnappen.
    »Sie ist in diesem Sommer bei einer Aufführung umgekommen, Herr Doktor. Ich habe gute Kontakte in Amerika,zu Filmleuten. Man verfolgt dort genau, was in der Münchner Oper passiert.«
    Martin musste sich überwinden, dem eitlen Geck schönzutun. Das Schmeicheln fiel ihm schwer. Schwartz klappte die Uhr zu und fuhr sich durch den gepflegten grauen Vollbart.
    »Ach ja, jetzt erinnere ich mich. Man hat mir davon berichtet. Diese Tosca suchen Sie?«
    Er blätterte in den Noten vor sich um nachzudenken. Die Leiche im Tosca-Kostüm, die im Juli aus der Brühe im ehemaligen Bühnenhaus gefischt worden war, gab höchstens noch Stoff für Witze her. Andererseits … wenn die Amerikaner einen Film über die Oper drehen würden, könnte der Wiederaufbau mit Hilfe ausländischer Gönner vielleicht schneller beginnen.
    »Der Auftritt dieser mir namentlich nicht bekannten Tosca zeugte nicht eben von ausgeprägter Klugheit angesichts der Tatsache, dass die Bühne des Nationaltheaters zurzeit drei Meter unter dem Grundwasserspiegel liegt. Aber was will man von Sängern anderes erwarten«, erklärte Schwartz und sah Martin zum ersten Mal an.
    Der junge Mann in der eng geschnittenen Uniform – die ihm nicht schlecht stand; die Amis wussten sich zu kleiden!– stand reglos neben dem Flügel und drehte die abgenommene Mütze in den Händen. Diese offensichtliche Humorlosigkeit machte Schwartz unleidlich.
    »Nie im Leben hätte ich so eine Tosca engagiert. Obwohl durch und durch überzeugende Darsteller selten geworden sind. Tempora mutantur. Diese spezielle Tosca jedoch hatte ihr eigenes Publikum. Vielleicht kann man Ihnen in der ›Feuerwache‹ weiterhelfen.« Er musterte ihn von oben bis unten und grinste zweideutig. In seinen Augen gab der Offizier vor ihm das Paradebeispiel für einen Amerikaner ab, der seinekulturellen Wurzeln in den schönen Beinen einer Ballerina zu entdecken glaubte. Oder eines Ballerinos. Chaqu’un à son goût . »Das ganze Leben ist nichts weiter als eine Oper, nicht wahr, Herr Major? Auf das passende Kostüm kommt es an.« Er tippte sich an die Stirn in der ironischen Andeutung eines militärischen Grußes.
    »In der Feuerwache?« Der Korrepetitor fiel Martin mit seinem Hohepriester-Gehabe auf die Nerven.
    »Das ist eine Lokalität für Ihresgleichen.«
    »Meinesgleichen?«, fragte Martin mit schneidender Stimme. Langsam kamen ihm Zweifel, ob Andras ihm die Wahrheit erzählt hatte. Überall behandelte man ihn, als ob er nicht ganz bei Trost wäre. Er atmete tief durch und versuchte es noch einmal freundlich. »Gibt es ein Foto von ihr, damit ich wenigstens weiß, ob ich die Richtige suche? Sie führen hier doch bestimmt ein erstklassiges Archiv.«
    Schwartz legte die Partitur zur Seite. »Nein. Das ist wahrscheinlich auch besser so. Auf einem Foto verlieren die meisten Sängerinnen. Man erkennt darauf zu viel.«
    »Ich verstehe nicht, was Sie meinen.«
    »Sehen Sie gerne Goldkronen, wenn Sie nicht gerade Zahnarzt sind?« Der Studienleiter beugte sich auf seinem Klavierhocker zurück und riss den Mund weit auf. Martin wich zurück. »Sehen Sie, wusste ich doch, dass Ihnen das nicht gefällt. Und nun versuchen Sie es einmal schön in der ›Feuerwache‹, junger Mann. Da finden Sie sicher einige Bewunderer dieser äußerst speziellen Tosca, das Etablissement ist in der Blumenstraße.« Er klappte eine Partitur auf. »Wieso wollen Sie eigentlich etwas über diese Tosca wissen? Über so eine dreht doch

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