Der erste Sommer
Der hat den ganzen Fall abgewickelt und sich auch in die Nachforschungen vertieft. Er ist ein Opernkenner, der hat sofort gesehen, dass es sich um eine Tosca gehandelt hat. Schon am Kleid. So ein Kleid trägt in der Oper nur eine Tosca, hat er gesagt. An die beiden Kinder, die die Leiche gefunden haben, erinnere ich mich noch gut. Hoffentlich haben die nicht so genau hingeschaut wie wir, sonst sind sie für ihr Leben verdorben. Ich bin gleich wieder da.« Hastig verließ der Polizist das Zimmer.
Martin ging um den Schreibtisch herum und ließ sich auf den Stuhl sinken. Die Uniform war zu eng und schnürte ihn ein. Die Hose kniff zwischen den Beinen. Lustlos blätterte er in den säuberlich mit Schreibmaschine geschriebenen Protokollen. Er griff nach dem Akt mit den Verbrechen der Besatzungssoldaten: 3. Oktober. Auf dem Baldeplatz haben drei offensichtlich betrunkene Negersoldaten der Schneidermeisterin Gertrud K. …
Martin gähnte, warf den Pappordner zurück auf den Tisch und faltete die Hände. Über dem Waschbecken neben der Tür hing ein fleckiger Spiegel. Darüber ein Holzkreuz mit einem weiß lackierten Jesus. Eine Wolke zog vor die Sonne. Schlagartig wurde es dunkel in dem Zimmer.
»So gern ich Ihnen helfen würde«, sprudelte der zurückgekehrte Polizist in der Tür los, »aber unsere Möglichkeiten sind beschränkt. Es ist nämlich so, dass der Kollege, der sich desFalls angenommen hat, den Dienst quittiert hat, ohne dass wir wüssten, warum. Er ist einfach nicht mehr erschienen, und deswegen haben wir den Akt vorläufig geschlossen.«
Im Spiegel bemerkte Martin, dass die Rückenhaare des Franken bis über den Kragen wucherten. Er schüttelte sich voller Widerwillen. Der Polizist folgte Martins Blick und starrte auf sein eigenes Spiegelbild.
»Ist etwas?«, fragte er verunsichert.
»Ich könnte wetten, dass Sie am ganzen Körper behaart sind.«
Der Franke wurde knallrot im Gesicht und wich zurück zur Tür. »Was … was … wollen Sie mir damit zu verstehen geben, dass ich mich vor Ihnen –, Herr Major?«
Martin sah ihn verblüfft an.
»Ich habe Kinder«, erklärte der Polizist, um klarzustellen, dass er weder mit Männerleichen in Kleidern noch sonstigen Abartigkeiten etwas zu tun haben wollte. »Ohne Familie ist ein Mann nichts auf der Welt.«
Fast hätte Martin lachen müssen über den naiven Versuch des Polizisten, sich als rechtschaffener Zeitgenosse zu präsentieren. »Herzlichen Glückwunsch«, gratulierte er. »Grüßen Sie mir Ihre Gattin.«
Beruhigt fuhr der Polizist fort: »Wenn ich ehrlich sein soll, dann ist es so, dass der zuständige Kollege entlassen wurde, weil er sich selbst gemein gemacht hat mit so verkommenen Paradiesvögeln wie dieser Tosca. Wenn Sie mehr wissen wollen, müssen Sie also selbst nachforschen. Sie haben die besseren Verbindungen als wir einfachen Beamten. Vielleicht weiß man in der Oper mehr. Dort hat man mehr Erfahrungen mit so was, Herr Major.« Der Polizist gewann seine Sicherheit zurück. Von einem abartigen Amerikaner in Uniform würde er sich nicht kleinkriegen lassen. »Wir haben die Lage hier wieder im Griff.«
»Selbstverständlich, Amerika ist Ihnen dankbar dafür.«
Der Polizist überhörte den Spott. Martin stand auf und ging ganz nah an dem Beamten vorbei, der einen Satz zur Seite machte. Bevor er die Tür hinter sich zuzog, empfahl ihm Martin:
»Rasieren Sie sich die Nackenhaare aus. Dann wird das auch etwas mit der Bewaffnung der Polizei. Wenn man Sie von einem Schwein unterscheiden kann.«
40
»Ich bin ein deutsches Mädel …«
Katharina saß summend im Schneidersitz auf ihrem Bett und trennte von Motten zerfressene Kleider auf. »Was soll mir Samt und Seide?« Das konnte man alles wieder verwenden. Es ließen sich daraus lauter schöne Kleider für den Sommer machen. Und auch eine Hose für den Ewald. Und ein Hemd für den Ferdinand. Selbst für das Lazarett fiel noch genug Verbandsmaterial ab. »Es glänzt an Rock und Mieder. An Rock und Lieder. Immer wieder.« Sie nahm die Schere und schnitt mit ruckartigen Bewegungen ein schwarzes Kleid von unten nach oben entzwei. Langsam öffnete sich die Tür. Ferdinand kam herein und blieb stehen. Betroffen sah er sie an. Ihre Stirn glänzte, das Leibchen war am Rücken durchgeschwitzt. Sie sah erbärmlich aus.
»Hast du die Nadeln?«, fragte Katharina, als setzte sie ein eben unterbrochenes Gespräch fort.
Ferdinand sah sie verständnislos an.
»Die Grammophonnadeln. Wo sind sie?«,
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