Der erste Tod der Cass McBride
nickte. »Sein Bruder hat vor zwei Jahren den Abschluss gemacht. Der war süß.«
»Kyle Kirby ist David Kirbys Bruder?«
Erica nickte. »Kaum zu glauben, was? Sie sind sich gar nicht ähnlich.«
Ich fragte mich, was für Eltern wohl zwei so unter schiedliche Söhne hervorgebracht hatten.
Die Antwort auf die Frage könnte jetzt meinen Tod bedeuten.
BEN
»Das ist hier ja wirklich mitten im Sumpf«, sagte Scott. Ben marschierte mit großen Schritten über den Holzsteg zu der Cafe-Bar mit dem Bootsverleih und dem Laden für Anglerbedarf, wo Leatha McBride für ihren Schwager arbeitete.
»Denkst du, es gibt Alligatoren im Wasser?«
»Ich schätze schon. Und Wassermokassinschlangen und noch ein paar andere tödliche Viecher.«
»Ich kann verstehen, warum das Mädchen nicht hier leben wollte«, stellte Scott fest.
»Sieht so aus, als befänden sich die Fischköder und Boote im Untergeschoss«, sagte Ben, als sie bei dem Gebäude ankamen. Es stand auf Stelzen und der untere Bereich war zurückgesetzt. Eine Außentreppe führte ins Obergeschoss. Der Duft von Kaffee und Gewürzen wehte ihnen entgegen.
Ben und Scott betraten den großen Raum. Der Holzboden war zerschrammt und auf den verstreut stehenden Tischen lagen rot karierte Wachstuchdecken. Ben zeigte der Frau, die auf sie zukam, seine Dienstmarke.
»Ich bin Detective Ben Gray und das ist Detective Scott Michaels. Wir würden gern mit Leatha McBride sprechen.«
Ben wusste bereits, dass ihm Cass’ Mutter gegenüberstand. Ted McBride konnte vielleicht damit prahlen, dass seine Tochter charakterlich ganz nach ihm kam, aber ihr Aussehen hatte sie eindeutig von Leatha McBride. Sie prüfte Bens Marke, blickte dann Ben in die Augen und warf Scott einen flüchtigen Blick zu, bevor sie ihnen den Weg in eine ruhige Ecke des kleinen Cafes wies.
»Sie scheinen nicht überrascht zu sein, dass ein Detective aus Texas Sie aufsucht«, bemerkte Ben.
»Ich nehme an, dass Ted irgendeine Forderung stellt«, erwiderte sie. Ben fand, sie klang müde und traurig, aber nicht verärgert. Resigniert vielleicht, ganz sicher nicht nervös.
»Ich kann mir nicht vors teilen, was er will«, fuhr sie fort.
»Ihre Tochter wird vermisst«, erklärte Ben. »Wir vermuten, sie wurde gekidnappt.«
Er beobachtete, wie sie den Schock aufnahm. Doch die Frau blieb stumm sitzen, ihre einzige Bewegung war ein leichtes Zittern der Hand, die sie abwesend zum Mund führte.
»Wann?«
»Letzte Nacht.«
»Erzählen Sie mir, was passiert ist.«
Das eindringliche Flüstern verriet Ben, was die Mutter wissen wollte.
»Kein Blut am Tatort. Es gibt keinen Grund, anzunehmen, dass Ihrer Tochter Gewalt angetan wurde. Wir sind immer noch in den ersten achtundvierzig Stunden. Das ist gut. Aber wir haben noch keinen Verdächtigen und die Zeit läuft.«
»Sie sind extra hierhergeflogen. Sie denken, ich habe etwas damit zu tun.«
»Der Elternteil, der nicht das Sorgerecht ausübt, wird immer als Erstes befragt. Die Kriminaltechniker sind noch am Auswerten der Spuren und ein Team von Polizisten führt Befragungen vor Ort durch.«
»Ich habe sie nicht entführt und auch niemanden damit beauftragt.«
Ben hörte schweigend zu.
»Warum sollte ich?« Leathas Hände zitterten. »Sie haben sie nicht kennengelernt, aber glauben Sie mir, das hier ist kein Ort, an dem Cass leben würde.« Sie presste ihre gespreizten Finger auf das karierte Tischtuch und starrte auf ihre Hände. Kurz geschnittene Nägel. Kein Nagellack.
»Wäre Ted so etwas zuzutrauen?«, fragte Ben.
»Ob Ted in der Lage ist, sein eigenes Kind für einen finanziellen Vorteil zu entführen? Ob er so gefühllos ist?« Leatha wandte den Blick ab. »Zweifelsohne. Aber wenn Sie wissen, was Cass für Ted verkörpert, dann wird Ihnen klar, dass es undenkbar ist.«
»Erzählen Sie mir mehr«, forderte Ben sie auf.
Leatha stand auf, ging in den hinteren Teil des Raums und kehrte mit drei Bechern Kaffee zurück. »Ich empfehle Ihnen, den Kaffee mit Sahne zu trinken, auch wenn Sie das für gewöhnlich nicht tun. Der hier ist mit Zichorie, nach Cajun-Art.«
Leatha hatte den Blick immer noch abgewandt und schien darum bemüht, angestrengt Haltung zu bewahren, während sie Sahne in ihren Becher goss, bis der schwarze Kaffee die Farbe von Karamell annahm. Mit einem Löffel fügte sie Zucker hinzu. Vier Teelöffel. Ben nippte an seinem Becher und fragte sich einen Augenblick lang, ob das Gebräu wohl auch als Farbloser eingesetzt werden könnte ...
Nach
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