Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der erste Tod der Cass McBride

Der erste Tod der Cass McBride

Titel: Der erste Tod der Cass McBride Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gail Giles
Vom Netzwerk:
ich und meine Bücher. Ja, du und Dad kommen für alles auf. Ich weiß, ich bin undankbar und sollte nach Hause kommen und dich ein wenig unterstützen. Nein, ich mache mich nicht über dich lustig. Ich kann es dir nie recht machen. Ich sage immer das Falsche, Mom. Genau wie David. Ich wünschte, du würdest ihm nur ein bisschen mehr Luft lassen, nur... Mom?
    »Mom hat mir zwar Vorträge darüber gehalten, dass sie in der Schule ihre Zeit mit Dates, Bällen und dem ganzen Drumherum vergeudet hat, aber das war Quatsch. Sie hasste David, weil er ein Wicht war. Ich fand Gnade, weil ich salonfähiger war. Ich wusste, was David zu tun hatte, um sie glücklich zu machen - und das war nicht, ein Zeugnis voller Einser nach Hause zu bringen.
    Ich erklärte David, was er tun musste. Was er sagen sollte. Ich habe ihm nicht gesagt, wen er sich dafür raussuchen sollte, aber welchen Typ er wählen musste. Und welches Hemd, welche Schuhe, welche Hose er anziehen sollte, das ganze Programm. Ich habe ihn aufgebaut, ermuntert, dass alles glattlaufen würde. Die ganze Aktion würde ablaufen, als hätte er den Autopiloten eingeschaltet. Ich erinnerte ihn daran, wie ich ihm beigebracht hatte, auf den Baum vor unserem Haus zu klettern. Dass er höher hinaus konnte, als er es für möglich hielt.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Am Montag hat er mich angerufen. Spätabends. Gegen zehn Uhr, vielleicht ein bisschen später.«
    »Kyle?«
    »David, wir müssen es kurz machen. Ich schreib morgen eine wichtige Arbeit.« Ich hörte ihn durchs Telefon atmen. Er weinte nicht. Er klang ruhig. Gott sei Dank.
    »Klar doch, hmm, ich wollte dir nur für all deine Hilfe danken.«
    »Oh, hat es geklappt? Die Sache mit dem Date?«
    »Ich habe alles vorbereitet«, antwortete David.
    »Dann viel Glück!«
    »Ohne dich hätte ich es nicht geschafft. Du bist ein großartiger Bruder.«
    » Werd mir hier nicht rührselig, Brüderchen. Geh die Sache an. Überleg’s dir nicht wieder anders, okay?«
    »Klar, ich geh die Sache an.«
    »Ich muss dann mal.«
    »Ich liebe dich, Kyle.«
    »Sei nicht doof.« Ich legte auf.
    »Ich habe ihm gesagt, er soll die Sache angehen. Überleg es dir nicht wieder anders.«

 
CASS
    Brauchte Kyle wirklich so lange, um auf jede Frage zu antworten, oder hatte ich jegliches Zeitgefühl verloren? Zwei widersprüchliche Phänomene schienen mir zu passieren. Die Luft war schwerer geworden, drückte mich nach unten, presste mich auf den Boden der Kiste. Aber gleichzeitig kam mir mein Körper leichter vor, als würde ich zu einer bloßen Hülse vertrocknen, so fragil, dass ein Lufthauch mich davonwehen, mich zerbröseln könnte.
    Aber die Hülse schmerzte. Meine Haut fühlte sich an, als bekäme sie bei jeder Bewegung Risse, wenn sie kratzig an dem Leinenstoff meines Pyjamas oder an den rauen Brettern entlangschürfte, meine Lippen bluteten jedes Mal, wenn ich etwas sagte. Und die ständigen Muskelkrämpfe zwangen mich dazu, mich zu bewegen, selbst wenn ich es gar nicht wollte. Ich musste schneller arbeiten. Ich war dabei, die Kontrolle über meinen Körper zu verlieren, meine Konzentration, mein Zeitgefühl. Ziemlich bald würde ich Kyle verlieren.
    »Klar geworden?«, fragte Kyle.
    Worüber hatten wir gerade gesprochen? Denk nach. »Ja, genau. Wie alt warst du, als du kapiert hast, dass sie keine Bilderbuchmutter war? Dass sie sich David gegenüber wie die böse Stiefmutter im Märchen verhielt? Dass sie dich anders behandelte?« Halt den Mund, Cass, das ist dummes Gefa sel. Lass ihn reden. Schieß nicht über das Ziel hinaus, nur weil du einen Spalt gefunden hast, um die Brech stange anzusetzen.
    »Halt die Klappe!«, dröhnte Kyles Stimme aus dem Funkgerät.
    Sie füllte meinen dunklen Raum und machte mir schlagartig wieder bewusst, wo ich mich befand. Ein Gefühl der Klaustrophobie überflutete mich und ich sog hektisch und abgehackt Luft ein, zwickte meine Augen zusammen und spannte die Muskeln an, um nicht zu treten, nicht um mich zu schlagen und zu schreien. Mein Herz hämmerte und kalt war mir jetzt nicht mehr. Im Gesicht und Nacken stand mir der Schweiß und ein warmes Gefühl rann meine Oberschenkel entlang und -
    Ich hatte mir in die Hose gemacht. Ein Gedanke. Ich drückte den Knopf und presste ein kurzes Lachen hervor.
    »Worüber zum Teufel lachst du?« Er war immer noch wütend.
    »Darüber, wie dumm ich bin.«
    Schweigen. Dad hatte so recht. Übernimm die Meinung deines Gegenübers und er weiß nicht mehr, was er sagen

Weitere Kostenlose Bücher