Der erste Tod der Cass McBride
trisch war? Nicht einmal ich konnte glauben, dass es hier ausschließlich um meine Person ging. Es musste etwas mit dem Zettel zu tun haben - mit den Worten, die nicht für David bestimmt gewesen waren. Aber mal im Ernst: David musste einen ziemlichen Schaden haben, wenn er sich einen Strick um den Hals legt, nur weil ihm ein Mädchen eine Abfuhr erteilt hat. Und seit wann fällt Egozentrik in dieselbe Kategorie wie Kidnapping und jemanden lebendig zu begraben? Vielleicht denkst du darüber mal nach, du Troll.
»Also, du hast einen Luftschlauch und ich habe noch eine Pumpe installiert, um das ganze Kohlendioxid durch ein kleines Loch am anderen Ende rauszuleiten. Ein primitives System, aber es funktioniert für eine Weile. Ich habe eh nicht viel Zeit.«
»Was meinst du damit? Nicht viel Zeit? Für was?«
Er schwieg einen Moment und ging über mir auf und ab. »Ich kann auch nicht sagen, wie viel Zeit du hast.«
»Wie viel Zeit für was? Wovon redest du?«, schrie ich.
»Verdammt, du hast echt lange gebraucht, um aufzuwachen. Ich habe mich schon gefragt, ob ich dich mit diesem Betäubungsmittel umgebracht habe. Ich hoffe, du hast eine Menge Wasser getrunken, bevor du am Freitag ins Bett bist. Dehydratation ist ...«
»Kyle ...«
»Lass das! Sag nicht meinen Namen! Du hast kein Recht, ihn in den Mund zu nehmen. Sag noch einmal meinen Namen und ich schick dir wieder eine Ladung Erde durch den Schlauch. Hast du das kapiert?«
Ich nickte.
»Antworte!«
»Ja. Verstanden. Ich sag deinen Namen nicht. Ich tu es nicht mehr.«
»Und dann ist da noch was. Wenn du es wagen solltest, wenn du nur den Versuch machst, zu leugnen, dass du David das angetan hast, wenn du dich herausredest, dann reiß ich den Luftschlauch raus und gehe. Verstanden?«
Fast hätte ich wieder genickt, aber dann fiel mir ein, dass er mich ja nicht sehen konnte.
»Verstanden.«
»Gut. Es ist schon spät und ich muss zurück ... in eine völlig andere Art von Hölle. Du bleibst hier. Ich komme wieder. Oder vielleicht auch nicht.«
Und dann war da nichts mehr.
Nicht einmal Erschütterungen.
Ich war allein.
BEN
Ted zog ein Foto aus einem lederbezogenen Bilderrahmen, der in einem exakt ausgerichteten Winkel auf einer Tischplatte aus poliertem Chrom gestanden hatte. Die Platte schien auf Glas- oder Plexiglasbeinen zu schweben. Schon bei seinem Anblick bekam Ben ein flaues Gefühl. Wie sollte man seine Füße auf so einen Tisch legen? Oder einen schweren Karton darauf abstellen? Nichts in diesem Haus vermittelte einen Eindruck von Substanz. Mit Ausnahme von Ted. Vielleicht war gerade das beabsichtigt.
»Cass hat Ziele und weiß, wie sie sie erreicht«, erklärte Ted und gab Ben das Foto. »Sie wird an der Ostküste PR und Marketing studieren und dann als Eventmanagerin arbeiten, sich in der Welt der Macher bewegen. Der Umgang mit wichtigen Leuten, Netzwerke knüpfen - Cass weiß, wie das geht. Ich habe ihr beigebracht, Menschen zu analysieren. Sie ist ein Naturtalent.«
Ben betrachtete das Foto. Attraktiv, aber nicht beängstigend schön. Selbstsicher. An einen großen Baum gelehnt, bekleidet mit weißen Shorts, einem pfirsichfarbenen Strickshirt, Sportschuhen und Söckchen. In der sonnengebräunten Hand hält sie locker einen Tennisschläger. Braunes, zurückgekämmtes Haar, natürliches Make-up, ungezwungenes, souveränes Lächeln. Makellos, dachte Ben bei sich. Der Begriff war altmodisch, doch er beschrieb treffend ihre Erscheinung.
Eine rasche Überprüfung ihres Kleiderschranks ergab, dass sie es nicht mit einer gespaltenen Persönlichkeit zu tun hatten. Cass gehörte nicht zu den Mädchen, die für Fotos als Engel posierten und sich dann für Partys wie Schlampen stylten.
Ted ging rastlos auf dem Teppich auf und ab. »Wer sollte Cass entführen?« Er raufte sich die zerzausten Haare. »Meine Ex hat dafür nicht den Mut. Sie könnte Cass vielleicht betäuben und wegbringen, doch nach dem Aufwachen würde Cass einfach gehen. Leatha weiß das.« Ted machte kehrt und durchschritt den Raum in die andere Richtung. »Cass kann ihre Mutter jederzeit besuchen, aber sie will nicht. Nein, Leatha scheidet aus.« Er blieb stehen und blickte Ben an. »Meinen Sie, ich sollte sie anrufen?«
»Wenn Sie nichts dagegen haben und Sie Ihre Exfrau noch nicht informiert haben, würden wir das gern übernehmen«, entgegnete Ben. »Es ist aufschlussreich, direkt zu beobachten, wie jemand die Nachricht von einer Entführung aufnimmt, wenn die Möglichkeit
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