Der erste Tropfen Blut: Thriller (German Edition)
Das schien den Vater ein wenig zu beruhigen, aber nur ein wenig. »Wir haben gestern mit seinem Rektor gesprochen; er sagt, Sean habe vor einem halben Jahr angefangen, Ärger zu machen.«
»Oh.«
»Aber Sie haben uns weisgemacht, er hätte Ihnen noch nie Schwierigkeiten bereitet.«
»Nun ja …« Mr. Morrison starrte auf seine Hände hinunter. »Wissen Sie, seine Mutter … nun ja, sie himmelt Sean an. Sie … also, wir haben ihn wahrscheinlich ein bisschen zu sehr verwöhnt, aber …« Er zuckte mit den Achseln.
»Vor sechs Monaten – was ist da passiert?«
»Im September? Da hat er einem anderen Jungen die Tasche gestohlen.« Morrison starrte auf die zugezogenen Vorhänge, die das fahle Tageslicht und die Kameras der Reporter aussperrten. »Er hatte bis dahin noch nie so etwas gemacht …« Ein Seufzer. »Dann hat er jemanden geschlagen. Und Essensgeld gestohlen. Und angefangen, den Unterricht zu schwänzen. Wir wären beinahe vor Gericht gelandet. Konnten von Glück sagen, dass er nicht von der Schule verwiesen wurde.«
Logan machte es sich auf der Couch bequem. »Hat er Ihnen je verraten, warum er das tut?«
Der Mann lachte auf, kurz und verbittert. »Nein. Das tun die lieben Kleinen doch nie, oder? Die Eltern sind immer die Letzten, die irgendwas erfahren. Gerade ist noch alles in Ordnung, und im nächsten Moment müssen Sie sich bei irgendeiner empörten Mutter entschuldigen, weil Ihr Sohn ihr Kind gebissen hat. Als wir aus Guildford zurückkamen, war Sean wie ausgewechselt …«
»Guildford?«
»Nun ja, wir – ich meine, Gwen und ich – wir sind damals nach Guildford gefahren, weil Gwens Vater ins Krankenhaus musste; er bekam einen doppelten Bypass. Ihre Mutter war ganz aufgelöst. Wir wollten Sean nicht mitnehmen, weil … nun ja, falls bei der Operation etwas schiefgegangen wäre.«
Rickards kam mit dem Tee herein und stellte drei Becher auf den Couchtisch. Kekse hatte er keine auftreiben können. »Sagen Sie« – Logan nahm sich einen Becher –, »bei wem hat Sean denn geschlafen, während Sie weg waren?«
Mr. Morrison klappte den Mund ein paar Mal auf und zu und antwortete dann, das wisse er nicht so genau. Es sei wohl einer von Seans Klassenkameraden gewesen. »Gwen wird das wissen, aber sie schläft … der Arzt hat ihr etwas gegeben, damit sie …«
»Es ist wichtig, Sir.«
»Ja.« Er stemmte sich aus seinem Sessel hoch und fing wieder mit dem Händeringen an. »Ja, selbstverständlich. Ich werde … mal fragen.«
Der Name stimmte mit keinem auf der Liste von Seans »Freunden« überein – laut Mrs. Morrison hatte ihr Sohn seit Monaten nicht mehr mit dem Jungen gesprochen. Früher war er ständig bei ihnen gewesen, aber seit ihrem Besuch bei Mrs. Morrisons Eltern hatten sie ihn nicht mehr gesehen. »Aber Sie wissen ja, wie Jungs so sind«, sagte sie. Sie klang groggy – vollgepumpt mit Beruhigungsmitteln. »Eben sind sie noch dicke Freunde, und im nächsten Moment haben sie vergessen, dass der andere überhaupt existiert.« Aber die Adresse hatte sie noch, und so standen Logan und Rickards wenig später vor einem riesigen Granitkasten von einem Haus am Hamilton Place. Ein kleiner Junge hätte die Strecke in sieben bis acht Minuten laufen können.
»Mhm«, sagte Logan, während er zu dem Haus aufblickte, das Handy ans Ohr gedrückt. »Wie viele?«
»Mutter, Vater und drei Kinder – ein Junge und zwei Mädchen.«
»Irgendjemand vorbestraft?«
Es dauerte eine Weile, bis der Kollege von der Leitstelle im landesweiten Polizeicomputer nachgesehen hatte. » Nee … Na ja, der Vater ist vor sieben Jahren mal wegen Alkohol am Steuer verknackt worden, aber seitdem nichts mehr .«
»Okay, danke für …«
» Aber von der Adresse wurden mehrere Einbrüche gemeldet, zum ersten Mal vor fünf Monaten … Ach ja, und diverse Anzeigen wegen Vandalismus im September, Oktober … die ganze Zeit bis Weihnachten. Eingeschlagene Fenster, Farbschmierereien an der Haustür, so was. Augenblick, ich mach mal einen Querverweis … « Eine längere Pause trat ein, und diesmal hätte Logan schwören können, dass er das Krachen von Chips am anderen Ende hörte. » Pech gehabt: Wie’s aussieht, war nur diese Familie betroffen. Keine anderen Anzeigen wegen Vandalismus am Hamilton Place. Zwei gestohlene Fahrräder am anderen Ende der Straße und …«
»Das reicht, danke«, sagte Logan, der sich die komplette Kriminalgeschichte der Straße lieber ersparen wollte. Er steckte das Handy wieder ein. Kurz nach
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