Der erste Tropfen Blut: Thriller (German Edition)
ziemlich mit leeren Händen dastanden. Niemand hatte Sean Morrison gesehen. Er hatte sich nicht bei irgendwem im Schuppen, in der Garage oder im Gartenhaus versteckt. Sie hatten sogar ein Team das Gelände der Robert-Gordon-Grundschule durchsuchen lassen für den Fall, dass Sean da untergetaucht war, wo er eigentlich fürs Leben hätte lernen sollen. »Laut Auskunft des Rektors«, berichtete eine Polizistin mit blau angelaufenem Gesicht, die sich die Hände an einer Tasse heißer Schokolade wärmte, »ist Sean nicht gerade ein regelmäßiger Gast. Vor ungefähr einem halben Jahr hat er angefangen, die Schule zu schwänzen und ständig Unruhe zu stiften. Tyrannisiert seine Mitschüler, klaut und flucht … ein richtiges kleines Monster, das sagen alle. Sie haben die Eltern ungefähr ein Dutzend Mal in die Schule bestellt, aber geholfen hat es alles nichts.«
»Ach ja?« Logan fuhr sich mit der Hand übers Kinn und spürte schon das Kratzen der Stoppeln unter den Fingern. »Sein Papa hat uns erzählt, Sean hätte vor dieser Geschichte noch nie Ärger gemacht.«
Die Beamtin schnaubte verächtlich. »Tja, dann lügt er eben.« Sie trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. »Äh, liegt sonst noch was an, Sir, oder kann ich mich umziehen gehen? – Heute ist Karaoke-Abend«, fügte sie noch erklärend hinzu. Logan wünschte ihr viel Glück und wandte sich dem nächsten Team und seinem Bericht zu.
DI Steel war als Erste fertig. Kein Wunder – man konnte froh sein, wenn sie die Berichtsbogen auch nur überflogen hatte, bevor sie die Beamten ins Pub geschickt hatte. »Gut«, sagte sie, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben, »sind wir dann fertig für heute?«
Logan schüttelte den Kopf. »Wir müssen noch die Teams für morgen zusammenstellen. Und ich habe mir gedacht, wir sollten vielleicht einen POLSA hinzuziehen und anfangen, die Parks und Wälder zu durchkämmen.« Und wenn sie mit einem Police Search Advisor einen Profiberater an der Hand hätten, würde die ganze Organisation und Logistik zur Abwechslung mal nicht an Logan hängenbleiben. »Vielleicht hatte seine Mutter ja recht, und er liegt irgendwo in einem Graben. Sein Bild war in allen Zeitungen – kann doch sein, dass irgendjemand ihn erkannt und beschlossen hat, Jerry Cochrane zu rächen?«
»O Gott, das hätte uns gerade noch gefehlt.« Steel verzog das Gesicht und fluchte. »Das hätte doch so ein netter, einfacher Fall werden können – wir wissen, wer’s getan hat, wir haben alles auf Video, wir haben Spuren gesichert, wir haben Zeugen …« Das Einzige, was sie nicht hatten, war Sean Morrison.
Logan stand vorne im Besprechungsraum, und ihm war ein bisschen schlecht. Er war nicht der Einzige: Die halbe Truppe wirkte heftigst verkatert. Und er war noch vernünftig gewesen und hatte nach der ersten Runde Flaming Drambuie die Segel gestrichen. Vorher hatte er allerdings noch einen Auftritt von DI Steel über sich ergehen lassen müssen, die bei der Karaoke-Session im Café Bardot D’Ya Think I’m Sexy? geschmettert hatte. Es war ein Erlebnis, das er so schnell nicht vergessen würde. Leider.
Jetzt stellte sie gerade dem Team den neuen Berater für Suchaktionen vor – einen hochgewachsenen, dürren Sergeant mit hängenden Lidern und markantem Kinn, der sogleich zu einer detaillierten Beschreibung des Vorgehens bei der heutigen Suchaktion überging – Standorte, Einteilung der Teams und all die anderen Details, die jetzt nicht mehr Logans Problem waren.
»Also«, sagte DI Steel, als der POLSA fertig war, »auch wenn Sean Morrison ein bösartiger kleiner Mistkerl ist, er ist trotz allem erst acht Jahre alt. Er ist zwei Tage nicht zu Hause gewesen, und in beiden Nächten war es unter null Grad kalt. Es ist denkbar, dass er sich irgendwo mit einer Flasche Wodka und einem Stapel Pornohefte verkrochen hat, aber er könnte genauso gut halb erfroren irgendwo unter einem Busch liegen. Also, halten Sie die Augen offen!« Sie ließ noch das ganze Team den Steel’schen Treueeid skandieren – »Mist bauen? Wir wissen gar nicht, wie das geht!« –, und dann durften sie sich an die Arbeit machen.
»Wollen Sie Morrisons Vater noch mal zur Rede stellen?«, fragte Logan, während die Truppe im Gänsemarsch hinausstapfte.
» Sie fahren hin – und nehmen Sie Rickards mit. Mir steht’s bis obenhin, wie er ständig jammert, dass alle hier ihn verarschen. Und ich habe eine Audienz bei Seiner Heiligkeit dem Polizeipräsidenten – muss ihm irgendwie
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