Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der erste Verdacht

Der erste Verdacht

Titel: Der erste Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Tursten
Vom Netzwerk:
Diese war bei einem Treffen eines Aktionärsclubs gewesen, »mehr, um meine Freundinnen zu treffen. Denn so, wie der Aktienmarkt heute aussieht, ist es vorbei mit dem schnellen Geld, obwohl es wieder leicht nach oben geht«. Erst kurz nach zwölf war sie wieder zu Hause gewesen. Ihr Mann war in Brüssel und schon Sonntagabend dorthin aufgebrochen. Sie bedauerte aufrichtig, dass sie keine größere Hilfe sein könne.
    Leider war ihr Nachbar nicht ebenso wohlwollend und mitteilsam. Er war älter, übergewichtig und glatzköpfig. Er öffnete erst nach mehrmaligem Klingeln und trug einen hellblauen Frotteebademantel. Dieser war sicher einmal elegant gewesen, jetzt aber nur noch als Lumpen zu bezeichnen. Ob der Morgenmantel oder sein Besitzer mehr nach Urin und Schweiß stanken, war schwierig zu sagen, aber die Fahne ging ganz eindeutig von ihm aus. Seine nackten Füße steckten in löchrigen Lederpantoffeln. Nein, er habe gestern Abend nichts gesehen oder gehört. Er habe ferngesehen. Er wohne allein. Ob irgendwelche Autos zu dem Haus auf dem Hügel gekommen seien? Nicht dass er wüsste. Ob was passiert sei? Ach, ein Mann sei in dem neuen Haus ermordet worden?
    »Hoffentlich reißen sie diesen verdammten Kasten jetzt ab. Er hat meine Aussicht zerstört!«, lautete sein Schlusswort, ehe er der Polizistin die Tür vor der Nase zuknallte.
    Im letzten Haus wohnte eine Familie mit drei Mädchen zwischen acht und fünfzehn Jahren. Viertel vor sechs hatten sie das Haus verlassen. Die Mutter hatte die Achtjährige zuerst zum Ballett ins Zentrum von Göteborg gefahren, anschließend hatte sie die Elfjährige zum Schlittschuhlaufen gebracht. Die Fünfzehnjährige hatte sich allein zum Reitunterricht aufgemacht, aber von dort fuhr nach acht kein Bus mehr. Deswegen hatte die Mutter sie auf dem Rückweg mitnehmen müssen. Kurz nach neun waren sie wieder zu Hause gewesen. Der Vater war mit einem wichtigen Kunden zum Essen verabredet gewesen und erst gegen elf nach Hause gekommen.
    Seltsam. Diese Menschen wohnten in den teuersten Villen von Göteborg, schienen aber keine Zeit zu haben, das exklusive Milieu zu Hause zu genießen. Die meiste Zeit standen die Häuser leer. Irene fielen die großen Schilder an allen auf, die potenzielle Einbrecher darauf hinwiesen, dass Alarmanlagen für Sicherheit sorgten. Das war sicher eine gute Investition.
    Ein Polizist, der vor dem Ceder-Haus Wache hielt, ließ Irene ein. Ihr war ein Gedanke gekommen, dem sie nachgehen wollte. Unheimlich hallten ihre Schritte auf dem Klinkerboden wider. Sie war auf dem Weg zu den Schlafzimmern, Ludwigs Zimmer war in überraschend hübschen Farben gehalten, die Wände in einem warmen Hellgelb mit einer gemalten himmelblauen Borte mit Booten. Der Teppichboden im selben schönen Blau war seidenweich. Auf einem Regal und auf Wandborden lagen Unmengen Stofftiere in allen Größen, und über dem Gitterbett hing ein fröhliches Mobile. Über dem Bett war ein Farbfoto aufgehängt, die lächelnde Sanna mit dem neugeborenen Ludwig auf dem Arm. Mitten im Zimmer stand ein knallroter Minisportwagen, für den der Junge die nächsten drei Jahre sicher noch zu klein sein würde, weil er mit den Füßen nicht an die Pedale kam. Aber Irene war nicht wegen dieses Zimmers ins Haus gekommen.
    Sannas Schlafzimmer nebenan war groß und hell, da es verglaste Schiebetüren aufs Meer hatte. Das Zimmer wurde von einem riesigen runden Bett dominiert. Neben dem Bett stand eine kleine Konsole. Irene probierte die Knöpfe aus, und schwere, schwarze Vorhänge glitten vor die Glastüren und versenkten das Zimmer in tiefste Dunkelheit. Mit einem Druck auf den richtigen Knopf öffneten sie sich wieder. Da es draußen immer noch regnete, war der Lichteinfall nicht gerade umwerfend. Sie drückte einen anderen Knopf, und ein riesiger Bildschirm an der Wand erwachte zum Leben. Aber Irene war auch nicht gekommen, um fernzusehen, und ebenfalls nicht, um die Einrichtung zu bewundern. Sie wusste bereits, dass in diesem Haus nur das Teuerste gut genug war. Sie fand es kalt und unpersönlich, aber durchaus dem Geschmack der Zeit entsprechend. Schließlich fand sie den richtigen Knopf auf der Konsole, und die Schiebetüren aus Spiegelglas glitten zur Seite und gaben den Blick auf den Inhalt der Kleiderschränke frei.
    Irene hatte noch nie so viele Kleider gesehen, zumindest nicht für eine Person. Eine rasche Durchsicht bestätigte ihren Verdacht: nur Damenbekleidung. Das einzige Herrenbekleidungsstück war ein

Weitere Kostenlose Bücher