Der erste Verdacht
Monaten in das Haus in Askim umgezogen?«
Sanna schien auf diese Frage vorbereitet zu sein. Sie warf Irene nur einen kühlen Blick zu und antwortete ruhig: »Wir haben nie zusammengewohnt.«
»Nicht einmal nach der Hochzeit?«
»Nein.«
»Ach? Warum nicht?«
»Wir hatten uns entschieden, so zu leben. Wir wollten beide nicht ständig mit einem anderen zusammenleben. Heutzutage ist es nicht ungewöhnlich, wenn jeder lieber für sich ist«, antwortete Sanna gelassen.
Vielleicht nicht, aber dann beruht das meist auf einem größeren räumlichen Abstand der Beteiligten, dachte Irene. Oder man meint, zu alt zu sein, um sich noch einmal auf die Gewohnheiten und Unsitten eines anderen einzulassen.
Als hätte sie Irenes Gedanken gelesen, warf Sanna trotzig den Kopf in den Nacken und sagte: »Als wir uns entschlossen haben zu heiraten, hatten wir beide einen zu großen Freundeskreis und ein zu ausgeprägtes eigenes Leben, auf das wir nicht verzichten wollten. Ich behielt meine Wohnung und wohnte dort, bis Ludwig und ich in das Haus einziehen konnten.«
»Wann war das Haus fertig?«
»Anfang Juli.«
»Die Wohnung haben Sie also nicht mehr?«
»Nein. Ich habe sie verkauft. Sonst säßen wir jetzt nicht hier.« Sanna machte eine müde und resignierte Armbewegung, die offenbar die ganze große Wohnung umfasste.
»Wie war das Verhältnis zu Ihrem Mann? Trafen Sie sich und besuchten Sie Feste zusammen …?«
»Natürlich. Und dann haben wir ja auch Ludwig.«
Als hätte er seinen Namen gehört, begann der Junge zu brüllen.
»Oh … jetzt ist er aufgewacht … ich gehe …«, sagte Elsy Kaegler und eilte geschäftig Richtung Diele.
»Sie sagten gestern, Sie hätten mit Kjell am Tag zuvor noch telefoniert. Etwa um neun Uhr morgens. Stimmt das?«
»Ja.«
»Hatte er bei Ihnen im Haus übernachtet oder hier?«
»Hier.«
»Sie haben ihn am Dienstag also nicht gesehen?«
»Nein.«
»Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?«
»Letzten Samstag. Wir haben im Le Ciel zu Mittag gegessen. Mit Ludwig, aber der schlief die ganze Zeit.«
Irene überlegte, wie sie weitermachen sollte. Aus den Augenwinkeln sah sie, dass Tommy hinter Elsy Kaegler herging. Ausgezeichnet. Es war besser, dass er mit ihr sprach, wenn ihre Tochter nicht zugegen war. Getrennt leben, obwohl man miteinander verheiratet war und zusammen ein Kind hatte, war ein merkwürdiges Arrangement. Irene beschloss, hier nachzuhaken.
»Wollte Kjell nicht mit Ihnen und Ludwig zusammenwohnen?«, fragte sie vorsichtig.
»Nein. Er mochte keine Kinder.«
»Aber trotzdem …«
»Das kam halt so!«, fiel ihr Sanna ins Wort.
Wieso sucht sich eine junge Frau einen älteren Mann, der keine Kinder mag, als Vater für ihr Kind? Vielleicht lag die Antwort auf der Hand – er war reich.
Irene war klar, dass sie diese Frage nicht stellen konnte, obwohl sie die Antwort sehr interessiert hätte. Stattdessen wechselte sie das Thema: »Sie wissen immer noch nicht, wen Kjell gestern Abend treffen wollte?«
»Keine Ahnung.«
»Sie haben nicht einmal eine Vermutung?«, beharrte Irene. Eine Sekunde schien Sanna zu zögern, aber dann erwiderte sie nachdrücklich: »Nein.«
»Wissen Sie, warum Kjell sich mit dieser Person in Ihrem Haus und nicht hier in der Wohnung verabredet hatte?«
Sanna errötete vom Dekolletee über den Hals bis zu den Wangen. Zum ersten Mal zeigte sie, dass eine Frage ihr nahe ging.
»Das begreife ich nicht! Das werde ich ihm nie verzeihen! Das Haus … mein Haus … es ist … besudelt! Ich muss putzen …« Sie unterbrach sich, als aus der Diele plötzlich Lachen zu hören war. Tommy stürmte mit einem fröhlich kreischenden Ludwig auf dem Arm in die Bibliothek, gefolgt von Elsy Kaegler, die eine ängstliche Miene aufgesetzt hatte. Sie rang ihre fleischigen Hände und stieß unruhige und unverständliche Laute aus. Wahrscheinlich glaubte sie, Tommy würde gleich Hochwerfen mit dem Jungen spielen und ihn dabei fallen lassen.
»Bitte. Ein Stück frisch verpackter Knabe. Munter und ausgeschlafen, aber hungrig«, sagte Tommy und lächelte Sanna an, als er ihr Ludwig reichte.
Sie nickte, aber in ihrem Gesicht war nicht einmal die Andeutung eines Lächelns zu entdecken. Ohne ein Wort des Dankes nahm sie ihren Sohn entgegen und setzte ihn auf ihre Hüfte.
»Sie müssen entschuldigen, aber weitere Fragen verkrafte ich nicht. Ich muss mich um Ludde kümmern«, sagte sie und verließ das Zimmer, ohne sie noch eines Blickes zu würdigen.
Ihr Abgang erfolgte so
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