Der erste Verdacht
Irene.
»Die Stridner sagt, dass seit dem Eingriff mindestens fünf Jahre vergangen sind«, erwiderte er mit eindeutig triumphierender Stimme.
Das war wirklich eine sensationelle Neuigkeit. Bei näherem Nachdenken ging Irene allerdings auf, dass dies ihre Ermittlungen nicht gerade vereinfachte. Im Gegenteil.
»Wer zum Teufel ist der Vater des Burschen?«, fragte der Kommissar ein weiteres Mal.
Alle drei Inspektoren erweckten den Anschein, als dächten sie gründlich nach. Schließlich meldete sich Irene zu Wort: »Ceder können wir schon mal als Kindsvater ausschließen. Um etwas in der Hand zu haben, könnten wir von beiden schon mal die DNA ermitteln lassen. Ceder haben wir in der Pathologie, und ich beschaffe eine Probe von Ludwig.«
»Darauf wird sich Sanna Kaegler nie einlassen!«, rief Birgitta voller Überzeugung.
»Wer hat denn gesagt, dass wir sie um Erlaubnis bitten?«, erwiderte Irene und lächelte.
KAPITEL 4
Irene verabscheute frühes Aufstehen. Je früher, desto schlimmer. Das war einfach nicht ihr Ding, wie ihre Zwillinge es ausgedrückt hätten. Im nächsten Leben wollte sie Nachtclubkönigin werden. Die Arbeitszeiten würden ihr taugen.
Aber dieses frühe Aufstehen war notwendig. Sie wollte nicht riskieren, dass ihr Sanna zuvorkam und im Haus in Askim ans Aufräumen ging. Auch wenn das Risiko minimal war. Das Wahrscheinlichste war, dass Sanna eine Putzfirma beauftragen würde, aber man konnte nie wissen, ob es ihr nicht plötzlich doch einfiel, selber zu putzen.
Weder Krister noch die Mädchen waren schon auf. Nach drei Tassen Kaffee und zwei Käsebroten war sie allmählich dazu imstande, Auto zu fahren. Sollte sie noch rasch mit Sammie Gassi gehen? Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass es dafür noch viel zu früh war. Der Hund war der größte Morgenmuffel der Familie. Er blieb lieber in ihrer noch warmen Betthälfte liegen und schnarchte mit seinem Herrchen um die Wette.
Die Lampen über der Haustür und dem Garagentor brannten noch. Obwohl der Himmel klar und im Osten schon das erste Licht zu ahnen war, wirkte das Haus im Morgendunkel äußerst düster. Sicher war das nur Einbildung, weil sie wusste, was sich hinter diesen Mauern abgespielt hatte. Irene schloss auf und betrat die Diele. Aus der Jackentasche holte sie Plastikhandschuhe und eine Einkaufstüte aus Plastik. Sie zog die Handschuhe an und ging zielstrebig in die Küche. Aus dem Mülleimer unter der Spüle fischte sie ein zusammengeknülltes Stück Küchenkrepp. Das war das Papier, mit dem Tommy die Flaschennahrung weggewischt hatte, die Ludwig auf ihre Schulter erbrochen hatte. Das zusammengeknüllte Küchenkrepp legte sie erst in eine kleinere Plastiktüte und dann in die Einkaufstüte.
Unheimlich hallten ihre Schritte wider, als sie zu dem Badezimmer ging, in dem sie Ludwigs Windel gewechselt hatte. Irene fiel auf, dass auf dem Bord über dem Wickeltisch eine gewisse Unordnung herrschte. Vermutlich war diese entstanden, als Elsy rasch alles zusammengepackt hatte, was der Junge in den nächsten Tagen eventuell brauchen konnte.
Als Irene auf das Pedal des runden Mülleimers trat, ging der Deckel hoch. Sie nahm die gebrauchte Windel heraus und verfuhr mit ihr genauso wie mit dem Küchenkrepp: erst eine eigene Plastiktüte und dann in die Einkaufstüte. Na also! Jetzt würde es dem Labor nicht mehr schwer fallen, die DNA festzustellen. Um ehrlich zu sein, wusste sie nicht recht, ob sich der Inhalt einer Windel verwenden ließ, sie glaubte es aber.
Aus einem Impuls heraus trat sie auf die verglaste Terrasse. Nicht etwa, weil sie den Tatort noch einmal in Augenschein nehmen wollte, sondern um sich den Sonnenaufgang anzusehen. Sie stieg die Wendeltreppe hoch und schaute nach Osten. Kein Wölkchen am Himmel, nur der Kondensstreifen eines Flugzeugs, den die ersten Strahlen der Sonne, die über die Baumwipfel fielen, golden verfärbten. Einen Augenblick lang schien der Wald, der nur als Silhouette zu erahnen war, in Flammen zu stehen. Dann wurde aus dem klaren Zitronengelb des Himmels ein helles Türkis. Nach fünf Minuten war das Farbenspiel vorüber, und sie hatte einen normalen Sonnenaufgang, der einen schönen Tag mit gutem Wetter verhieß, vor sich. Sie drehte sich um und schaute auf das bleigraue Meer mit seiner schweren Dünung. Dieser Leuchtturm auf dem Dach war wirklich eine geniale Idee. Ob sie wohl von Sanna oder dem Architekten stammte?
Als sie die Wendeltreppe hinunterstieg, kam ihr wieder das Geld in den Sinn. Wer
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