Der erste Verdacht
schnell, dass es weder Irene noch Tommy in den Sinn kam, sie am Gehen zu hindern. Sie hatte sie schnell und effektiv abgefertigt. Elsy stieß nervöse Geräusche des Bedauerns aus und rang immer noch die Hände, während Irene und Tommy in die Diele gingen. Dieses Mal würden sie nichts weiter in Erfahrung bringen, aber sie würden wiederkommen. Das muss auch Sanna klar sein, dachte Irene.
»Sannas Eltern haben sich vor zwanzig Jahren scheiden lassen. Elsy Kaegler ist Grundschullehrerin und ihr Mann Rektor an einem Gymnasium hier in Göteborg. Offenbar hat er kurz darauf wieder geheiratet. Aus zweiter Ehe hat er zwei Söhne. Laut Elsy hat er sich nach der Scheidung nicht im Geringsten um seine Töchter gekümmert«, sagte Tommy, als sie wieder im Auto saßen.
»Glaubst du, dass Sanna Kjell Bengtsson Ceder geheiratet hat, weil sie nach einem Vaterersatz suchte?«, fragte Irene.
»Was weiß ich. Einigen jungen Frauen sind ältere Männer lieber. In jeder Beziehung, als Liebhaber, als Lebensgefährte, überhaupt!«
Welche Laus war ihm denn jetzt über die Leber gelaufen? Irene schaute Tommy aus den Augenwinkeln an. Dieser drehte den Kopf zur Seite und schaute aus dem Seitenfenster. Sein verkrampfter Nacken und seine verbissenen Gesichtszüge ließen deutlich erkennen, wie wütend er war. Was war nur los mit ihm? Eine verspätete Midlife-Crisis vielleicht? Irene konnte sich keinen Reim darauf machen und wusste nicht so recht, wie sie damit umgehen sollte. Deswegen legten sie den Rest des Weges zum Präsidium schweigend zurück.
Kommissar Andersson erwartete seine Inspektoren in seinem Dienstzimmer. Irene war klar, dass es sich um eine große Sache handeln musste, denn er hatte seine alte Kaffeemaschine hervorgeholt und in Gang gesetzt. Das kam in letzter Zeit nur noch sehr selten vor, denn es war viel bequemer, zum Automaten auf dem Flur zu gehen. Irene stutzte, die farblose Kajsa Birgersdotter hatte ihr Haar kastanienrot gefärbt. Das stand ihr. Ihr taubenblaues T-Shirt harmonierte mit ihrer Augenfarbe und ließ diese so besonders gut zur Geltung kommen. Hatte sie sich von einem Stylisten beraten lassen? Irene wurde aus ihren Gedanken gerissen, als Andersson das Wort ergriff.
»Die Stridner hat eben angerufen. Die Obduktion von Ceder ist abgeschlossen. Er starb an zwei Schüssen ins Gehirn. Sie wurden von vorn und aus nächster Nähe abgefeuert. Die Waffe ist kleinkalibrig, also so ein verdammter Damenrevolver. Das ist aber noch nicht alles …«
Er legte eine Kunstpause ein. Auf seinem runden Gesicht breitete sich ein grimmiges und gleichzeitig verschwörerisches Lächeln aus.
»Ceder hatte sich operieren lassen. Er konnte keine Kinder zeugen. Ich erinnere mich nicht, wie sie das genau genannt hat, aber das Wichtige ist, dass er verstümmelt war!«
»Verstümmelt! War er kastriert?«, meinte Birgitta entsetzt.
Andersson begann zu nicken, zufrieden mit dem Effekt seiner Enthüllung.
»Meinst du, dass er sich einer Vasektomie unterzogen hatte?«, wollte Tommy gelassen wissen.
»Bitte? Vaso … ja, irgendwie so hieß das«, gab der Kommissar leicht verwirrt zu.
»Dann war er nicht kastriert, sondern nur sterilisiert. Die Samenleiter werden durchtrennt, damit die Samenzellen nicht in die Harnröhre gelangen können. Alles Weitere bleibt intakt, man funktioniert also sexuell ganz normal«, belehrte sie Tommy.
»Was du alles weißt«, zischte Andersson säuerlich.
Es gefiel ihm nicht, dass ihn seine Untergebenen womöglich für unwissend hielten.
»Ich habe diesen Eingriff auch vornehmen lassen. Drei Kinder reichen«, erwiderte Tommy ruhig.
Kajsa Birgersdotter erhob sich heftig vom Stuhl, murmelte etwas Undeutliches und stürzte aus der Tür. Tommy wirkte ebenso erstaunt wie die anderen. Irene bemerkte, dass das Erstaunen allmählich von der unterdrückten Wut abgelöst wurde, die ihr bereits vorher im Auto aufgefallen war.
»Was ist denn mit der los?«, wollte Andersson verärgert wissen.
Er verabscheute es, wenn sich Leute irrational verhielten. Gleichzeitig hatte er das Gefühl, dass ihm die Situation zu entgleiten drohte. Das gefiel ihm ebenfalls nicht.
Er nahm die Brille ab, knallte sie unnötig hart auf den Tisch und fuhr dann fort: »Wie auch immer. Wie wollen wir diese Ermittlung also angehen? Vielleicht sollten wir erst mal rauskriegen, wer der richtige Vater des Jungen ist?«
»Könnte Ceder sich dieser Operation nicht unterzogen haben, nachdem Sanna schwanger geworden war?«, fragte
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