Der erste Verdacht
Denken.«
Als sie an jenem kalten Dezembertag vor drei Jahren nach Styrsö gefahren waren, hatten weder Irene noch Tommy gewusst, womit Thomas Bonetti sein Geld verdiente. Sie hatten ihn für einen reichen, jungen Aktienspekulanten gehalten, der mit einer großen Geldsumme untergetaucht war. Während sie mit der Fähre übergesetzt waren, hatte Tommy die Theorie entwickelt, Thomas liege auf den Bahamas mit einer großbusigen Blondine in einem Liegestuhl und schlürfe Cocktails, während sie sich auf der Suche nach ihm den Arsch abfrören.
Kurz vor dem Mittagessen hatte sich Irene ein recht gutes Bild von Bonettis Vergangenheit gemacht. Er war ihr unsympathisch, aber dieses Schicksal teilte er mit der Majorität derer, die sie in der Verbrecherkartei suchte und fand.
Thomas Bonetti war bei seinem Verschwinden einunddreißig Jahre alt gewesen, obwohl er auf Fotos eher wie vierzig wirkte. Er war der einzige Sohn des bekannten Anwalts Antonio Bonetti. Thomas hatte eine zwei Jahre ältere Schwester. Er hatte blonde Haare und helle Haut, nichts verriet seine italienische Abstammung. Das ließ sich jedoch dadurch erklären, dass sein Vater, ein Italiener, rothaarig war. Thomas hatte bis einschließlich des Gymnasiums eine Privatschule besucht und direkt anschließend ein Studium an der Handelshochschule von Göteborg aufgenommen. Wehrdienst hatte er keinen leisten müssen. Während des Studiums war er zweimal wegen Drogenbesitzes mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Beide Male wegen des Besitzes von Kokain, allerdings in so geringen Mengen, dass er mit milden Strafen davongekommen war.
Erst hatte er einige Jahre bei einer schwedischen Bank gearbeitet, und danach war er nach London gezogen. Zusammen mit einem anderen Schweden, den er vom Studium her kannte, gründete er eine Verwaltungsgesellschaft. Die beiden trafen einen Norweger, der bereits im Finanzsektor arbeitete, aber mit seinem Einkommen unzufrieden war. Er hatte Lust, etwas Eigenes zu machen, und schloss sich mit der Aussicht auf schnelles Geld seinen neuen schwedischen Freunden an. Thomas’ schwedischer Geschäftspartner hieß Joachim Rothstaahl.
Irene spürte, wie ihr Herz schneller schlug. Bonetti und Rothstaahl! Der eine seit drei Jahren spurlos verschwunden, der andere gerade eben zusammen mit einem von Bonettis späteren Geschäftspartnern ermordet. In Irenes Kopf ging es wild durcheinander, als sie versuchte, alle diese Personen in den richtigen Zusammenhang zu bringen. Das Wichtigste war jedoch die Einsicht, dass es bereits vor sieben Jahren Kontakte zwischen mehreren von ihnen gegeben hatte. Womöglich hatte das zwar nichts mit den drei Morden zu tun, aber es war auf jeden Fall eine wichtige Beobachtung.
Der Norweger hieß Erik Dahl. Der Name sagte ihr nichts, aber sie notierte ihn sich, um später weitere Nachforschungen anzustellen. Die drei Geschäftspartner hatten mit Hilfe der richtigen Kontakte und feiner Diners in einem der schicksten und traditionsreichsten Clubs Firmen und Privatpersonen aus Skandinavien dazu gebracht, Geld in ihre Risikokapitalgesellschaft Pundfix zu investieren. Unter den Gästen waren stets prominente englische Politiker und der eine oder andere Lord gewesen. Das Ganze hatte sehr seriös und authentisch gewirkt.
In Wirklichkeit hatte es sich um eine Art Pyramidenspiel gehandelt. Frisches Geld, das in Pundfix investiert wurde, wurde für die hohen Dividenden verwendet und um diejenigen auszulösen, die die Gesellschaft verlassen wollten. Das ging eine Weile gut, aber schließlich flog die Sache auf, als ihr größter Kunde, eine norwegische Firma, einen Rechenschaftsbericht forderte. Es gab kein Geld, über das man Rechenschaft hätte ablegen können, da die drei Teilhaber bereits alles unterschlagen hatten. Thomas Bonetti hatte eingesehen, dass die Sache am Auffliegen war, und sich mit ein paar Millionen auf der hohen Kante aus der Gesellschaft zurückgezogen.
Joachim Rothstaahl kam mit dem Schrecken davon. Da er schwedischer Staatsbürger mit Wohnsitz in England war, konnte er in Norwegen nicht vor Gericht belangt werden. Vor dem Geschworenengericht in Oslo musste deswegen der Norweger Erik Dahl seinen Kopf hinhalten. Das Urteil lautete auf sieben Jahre Gefängnis wegen Untreue.
Irene stutzte. War Erik Dahl vielleicht aus dem Gefängnis entlassen worden und hatte sich entschlossen, sich an seinen alten Gefährten zu rächen? Zum Zeitpunkt von Thomas Bonettis Verschwinden konnte er noch nicht auf freiem Fuß gewesen
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