Der erste Weltkrieg
wurden von immer brutaleren Massakern begleitet. Frauen wurden vor ihrer Ermordung vergewaltigt. Unter den Überlebenden verbreitete sich ein unbeschreibliches Elend. Einige konnten sich retten, indem sie zum Islam konvertierten. Doch die meisten der ca. 1,5 Millionen Opfer gingen bei den Gewaltsamkeiten oder in Lagern an Hunger und Krankheit zugrunde.
Bei der Schilderung all dieser deprimierenden Entwicklungen im Westen und im Osmanischen Reich darf man freilich nicht übersehen, dass der Konflikt im Osten von den Generälen ebenso verlustreich und rücksichtslos geführt wurde, obwohl der Kampf dort mehr ein Bewegungskrieg blieb. Was hier besonders auf russischer und österreichisch-ungarischer Seite die Verluste noch erhöhte, war nicht nur der bedenkenlose Einsatz, sondern auch eine z.T. noch unglaublichere Inkompetenz und ein durch widersprüchliche Befehle verursachtes buchstäbliches Chaos. Dadurch kam es hier wiederholt zu militärischen Katastrophen, in denen Hunderttausende von oft gänzlich unerfahrenen Rekruten ihr Leben ließen oder mit schweren Verletzungen und mit langer Kriegsgefangenschaft unter schwierigen Umständen bezahlen mussten.
Als Katastrophe erwies sich auch, dass der Bewegungskrieg weitaus größere Zahlen von Zivilisten – Frauen, Kindern und Alten – in den Konflikt hineinzog als im Westen. In Frankreich waren 1914 die Bewohner der Frontabschnitte zur Flucht gezwungen worden. Ansonsten aber blieb die Zivilbevölkerung an ihren vertrauten Wohnorten ansässig und wurde in ihrer Existenz nur durch die wachsenden materiellen Belastungen des Krieges betroffen. Anders erging es den Dorf- und Stadtbewohnern im weiten Kampfgebiet im Osten, vor allem dort, wo die Fronten mehrmals vorgeschoben und wieder zurückgenommen werden mussten. Allein durch mehrfache Requirierungen derjeweils durchziehenden Truppen wurde vielen Zivilisten Hab und Gut genommen und ihr Überleben gefährdet. Hunger war eine der ernstesten Folgen einer Kriegführung, die die Truppen aus dem Lande verpflegte. Die Requirierungen wurden von den Offizieren entweder toleriert oder gar angeordnet. Letztlich war auch im Osten diese Art der Kriegführung so erfolglos, dass die Generäle ebenso wie im Westen mit ihrem Latein am Ende waren. Ja, ihr Versagen hier war so groß, dass Russland schon 1917 zusammenbrach und Österreich-Ungarn de facto lange vor dem Herbst 1918 vor dem Ruin stand.
2. Neutralität und Bündnispolitik
Der Fehlschlag des Blitzkrieges, den die beiden zentraleuropäischen Monarchien 1914 vom Zaun gebrochen hatten und eigentlich bis Weihnachten gewinnen wollten, sowie das manifeste Unvermögen beider Seiten, in den Jahren darauf bis 1918 einen kriegsentscheidenden Durchbruch zu erzielen, verstärkte nicht nur die Brutalität im Denken und Handeln der Generäle. Je länger das Patt andauerte und die Entscheidungsträger in den Hauptstädten und Hauptquartieren frustrierte, desto stärker erfasste ein Geist der Härte auch andere Elitegruppen. In der Erkenntnis, dass die Kosten des Krieges mehr und mehr ins Astronomische stiegen, fanden vor allem in der zweiten Kriegshälfte immer exorbitantere Kriegszielforderungen in Kreisen der hohen Politik und der Wirtschaft Unterstützung.
Doch vor einer Schilderung dieser Entwicklungen sind zwei andere Aspekte des Krieges «von oben» zu behandeln, die später von der Kriegszieldiskussion mehr und mehr verdrängt wurden. Beide berührten die Diplomatie, die mit dem Kriegsausbruch natürlich nicht zum Erliegen gekommen war. Da waren als Erstes und gerade in der frühen Konfliktphase die Bemühungen, neutrale Staaten in das eigene Lager zu ziehen. Im Verlauf dieser Bemühungen kam es zu intensiven diplomatischen Verhandlungen. Früh schon standen das Osmanische Reich, Italien, Bulgarien, Rumänien und Griechenland unter dem Druck, sich für die eine oder die andere Seite zu entscheiden.
Bei den Türken waren keine größeren Überredungskünste erforderlich, um sie ins Lager der Mittelmächte zu holen, nachdem Enver Pascha am 18. Juli 1914 in Paris vergeblich über eine Anleihe für das marode Osmanische Reich verhandelt hatte. Als die Engländer am 1. August dann auch noch zwei kurz vor dem Stapellauf stehende türkische Schlachtschiffe beschlagnahmten, dauerte es nicht mehr lange, bis Konstantinopel sich auf die Seite Berlins schlug. Am 1. Oktober riegelte es den Bosporus für alliierte Schiffe ab. Vier Wochen später beschoss ein von Deutschland erworbenes
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