Der Esper und die Stadt
schaltete den Fernseher ein und machte ein Nickerchen. Im Halbschlaf hörte ich einen aufgeregten Sprecher, der enthusiastisch die Anstrengungen der Polizei schilderte, in die Hauptabschnitte des Computergebäudes einzudringen. Eine gewaltige Menschenmenge schaute ihnen zu, und jeder Versuch wurde mit Beifall quittiert. Ich schlief ein, hörte nichts mehr, wachte gegen acht Uhr auf und schaute mir eine Wiederholung der Frühnachrichten an: Ahmed verließ das Gebäude; Larry ging an seiner Seite. Der Junge kam mir noch kleiner vor als sonst, und er schien auf achtzig zu sein. In jedem Fall schimpfte er Ahmed mit schriller Stimme aus und versuchte ihn mit logischen Argumenten festzunageln.
Ahmed packte einen von Larrys wirbelnden Armen und befestigte ihn mit einer Handschelle an seinem eigenen. Vor der Kamera, die sie beide voll im Bild hatte, blieben sie stehen und schrien sich an wie ein streitendes Bruderpaar. Das enthusiastische Gebrüll der Menschenmenge überlagerte ihre Worte ebenso wie die aufgeregten Erklärungen des Fernsehsprechers. Dann wurden die beiden von Polizisten umringt und von meinen Blicken abgeschnitten.
Ich schaltete den Fernseher ab und schlief noch eine Runde.
Die Vibrationen der vier Millionen New Yorker Fernsehzuschauer waren dermaßen glücklich und unterhaltend, daß ich zu den Neun- und Zehn-Uhr-Nachrichten halb erwachte, eine Nachrichtenstation einschaltete und den Fernseher laufen ließ.
Der für die Sozialwissenschaften zuständige Computer, nach dessen Entscheidungen sich die Regierung und die Wirtschaft richtete, hatte aufgehört, Anfragen in den bisher üblichen, rein sachbezogenen und Telegrammen ähnlichen Großbuchstaben zu beantworten. Statt dessen druckte er seine Antworten in Normalschrift, benutzte ein feinsinniges, hintergründiges Englisch und verdeutlichte seine Ansichten mit Witzen und Sprichwörtern, wobei er manche Fragen in einer Weise erörterte, die die ganze menschliche Entwicklungsgeschichte miteinbezog und manchmal dichterisch und im Stil Larry Rubaschows vorging. Der Sprecher las ein paar der Sprichwörter vor.
Die Computerexperten erklärten, daß man diesen Eingriff nicht rückgängig machen könne, da die momentane Programmierung aus einer Verzahnung unterschiedlicher Wissensgebiete bestehe und im Begriff sei, ein bestimmtes Problem des menschlichen Überlebens zu lösen. Larry Rubaschow hatte die Maschine vor diese Aufgabe gestellt, und jetzt arbeitete sie mit sämtlichen Unterabteilungen an der Lösung dieser Aufgabe, die auch den menschlichen Instinkt und Kommunikationsfragen mit einbezog. Nach der Beendigung dieser Erklärung war der TV-Sprecher wieder im Bild und las ein paar nicht unwitzige Bemerkungen des Computers über Programmierer vor, denen der sichere Job am liebsten sei und die das Verlangen hätten, in den Augen der Außenwelt mysteriös zu erscheinen.
Die Vibrationen der New Yorker Zuhörer drückten zwar Furcht aus, aber auch den Impuls, bestens unterhalten zu werden.
Der Sprecher sagte irgend etwas Langweiliges. „Die computerisierte Schnellgerichtsbarkeit …“ Ich drehte mich um und hörte weg. „Larry Rubaschow wurde einer extrem anormalen Verhaltensweise und einer soziopathologischen Orientierung für schuldig befunden und ist zu einer elektroneuralen Feedback-Behandlung – im Volksmund ‚Gehirnwäsche’ genannt – verurteilt worden, die seine Persönlichkeit korrigieren wird. Sein Anwalt hat keinen Antrag auf eine Wiederaufnahme des Verfahrens gestellt. Der brillante, aber verdrehte junge Mann …“ Ich streckte den Arm aus und schaltete ab; dabei dachte ich an Larry. Ein Teil der letzten Woche kam mir ins Gedächtnis zurück.
Halb im Schlaf träumte ich, wieder in diesem U-Bahn-Käfig zu sein. Ich hatte Hunger und Durst und versuchte das Gefühl des Gefangenseins dadurch zu verdrängen, daß ich an den eisernen Gitterstäben, die mich festhielten, ein paar gymnastische Übungen machte.
Larry kam in Nicholis Zimmer und schaute sich um. Er nahm einen Schluck aus der Colaflasche, die er in der Hand hielt, und sah mich an. „Wie kommst du zurecht, George?“
„Gut. Aber mir ist langweilig.“ Ich machte einen Klimmzug. Das war jetzt leichter, da ich abgenommen hatte. Meine Hände zitterten in der gleichen Weise wie damals, als ich arbeitslos, pleite, fett und hungrig gewesen war. Aber meine Schlotterei war nicht schlimm gewesen. Ich war gesund darüber hinweggekommen.
Larry wollte mich natürlich irgendwie zum Aufgeben
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