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Der Esper und die Stadt

Der Esper und die Stadt

Titel: Der Esper und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine McLean
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Durst. Hatte ich auf Ahmeds Ruf hin die Rettungsbrigade alarmiert? Das kleine Abbild eines Mannes in Jean Fitzpatricks Geist hatte sowohl angerufen als auch wieder eingehängt, aber dieses Abbild, diese Marionette, war ich gewesen; ich, George Sanford, fast einen Meter neunzig groß. Ich bin nicht die Marionette irgendeiner Frau. Die Kraft der Telepathie wird von Gefühlen und Bedürfnissen angetrieben, und die Frau dort oben hatte von beidem genug. Aber keiner hätte das mit mir anstellen können, wenn ich nicht sowieso hätte helfen wollen. Keiner.
    Von oben kam das melodiöse Geräusch eines Zweiklanghorns und wurde immer lauter. Vor der Tür verstummte es. Jemand hämmerte laut gegen die Tür. Ich fühlte mich ganz gut, aber mir war immer noch schwindelig, und ich hatte Angst, mich zu bewegen.
    „Komm rein“, krächzte ich. Die Leute rappelten an der Klinke. Ich stand auf und ließ sie herein. Dann stützte ich mich auf die Rücklehne eines Stuhls.
    Krankenpfleger von der Rettungsbrigade in Blau und Weiß. „Sind Sie der Kranke?“
    „Nein, die Frau oben.“ Ich deutete nach oben, und sie eilten mit ihrer Ausrüstung und einer Tragbahre die Treppenstufen hinauf.
    Obwohl sie jetzt keinen Durst mehr litt und sie kein Bedürfnis mehr hatte, ihren Geist auf hohen Touren laufen zu lassen, waren wir immer noch irgendwie miteinander verbunden, denn ich spürte, wie die Spitze einer Nadel in meine Hüfte drang. Das Gefühl der Schummrigkeit und Angst löste sich auf, die Welt nahm wieder ihre altbekannten Formen an, und die Küche verlor die Ähnlichkeit mit einer staubbedeckten Dachkammer. Sie war jetzt nur noch eine saubere Küche, und der Sonnenschein der ganzen Welt drang durch das Fenster.
    Ich holte tief Luft, reckte mich und spürte, daß meine Arm- und Beinmuskeln wieder Kraft gewannen. Ich ging in den zweiten Stock hinauf und hielt die Leiter fest, als die Männer von der Rettungsbrigade den besinnungslosen Körper einer jungen Frau aus der Dachkammer bargen.
    Sie hatte lockiges Haar, ein schmutziges Gesicht und magere Arme und Beine. In der Mitte war sie aufgebläht wie ein schwangerer Kürbis.
    Ich sah zu, wie der blauweiße Helikopter der Rettungsbrigade sie wegbrachte.
    „Willst du mitkommen und zusehen, wie ich meinen Bericht schreibe?“ fragte Ahmed.
    Als wir die Küche verließen, hielt ich nach der Tüte mit den türkischen Honigbrötchen Ausschau, aber sie war weg. Ich mußte sie irgendwo verloren haben.
    Wir gingen ein paar Blocks weiter nach Süden und dann in das nächste Polizeirevier. Ahmed setzte sich hinter einen unbenutzten Schreibtisch, um seine Formulare auszufüllen. Im Wartezimmer fand ich einen Stapel Comic-Hefte und nahm mir das Heft, auf dessen Umschlag am meisten los war. Meine Hände zitterten ein bißchen, aber ich war glücklich und kam mir richtig wichtig vor.
    Ahmed füllte den Kopf des Formulars aus, schrieb ein paar Zeilen und schaltete dann den Kalkulator ein, der zu dem Schreibtisch gehörte. Er hielt inne, starrte ein paar Löcher in die Luft, sah mich an und schrieb dann weiter. Er sah mich alle paar Sekunden an, und ich fragte mich, was er da über mich schrieb. Ich wollte, daß er gute Sachen über mich schrieb, damit die Bosse von der Rettungsbrigade es lasen und mich einstellten.
    „Ich hab ’n guten Riecher, was, Ahmed?“
    „Ja.“ Er schrieb etwas in einen Kasten, las die Erklärungen zur nächsten Frage, kaute am Ende seines Schreibers herum und starrte an die Decke.
    „Würd’ ich nicht einen guten Aufspürer abgeben?“ fragte ich.
    „Welche Note hast du in Varianzanalyse auf der High School gekriegt?“
    „Hab’ ich nie gehabt. Ich bin wahrscheinlich auch in Algebra durchgefallen; schon in der Sechs B …“
    „Die Rettungsbrigade verlangt, daß man Formulare ausfüllen kann, die auch die Statistik-Computer lesen können. Schau mal …“ Ich beugte mich rüber, und er zeigte mir ein Kästchen, in das er allerlei Zahlen und ein komisches Zeichen geschrieben hatte, das aussah wie ein umgefallenes D. „Kannst du das lesen, George?“
    „Was bedeutet es?“
    „Es bedeutet ‚Probabilität 0,005’. Es heißt, daß die Chancen zweihundert zu eins dagegenstehen, daß du die White-Horse-Taverne aus purem Zufall angesteuert hast, als die Fitzpatrick-Frau dort verkehrte. Auf diese Zahl bin ich gekommen, als ich die Anzahl der Kneipen im Telefonbuch überflog. Da gibt es zweihundert, die die falschen gewesen wären – und da war nur eine, in die du

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