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Der Esper und die Stadt

Der Esper und die Stadt

Titel: Der Esper und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine McLean
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tun gehabt, wäre ich geblieben und hätte gelacht, aber da ich auf Carl Hodges eingestimmt war, verging mir das Lachbedürfnis sofort. Hodges war kalt und einsam. Er verabscheute gesellige Menschen und schien keinen Sinn für Humor zu haben. Ich folgte der Spur, auf der man Hodges zuletzt gesehen hatte, und ging auf eine Fremdenvorstellungsparty. Es war die gleiche, auf der auch er gewesen war, bevor er verschwand.
    Ich tanzte mit einem Mädchen. Sie sagte, ich hätte zwei Gesichter. Ich war leicht betrunken und etwas benebelt, als ich den kalten, einsamen Gefühlen folgte, die Party verließ und nach Norden ging. Die in der Dunkelheit liegenden Gebäude warfen das Echo meiner Schritte zurück, bis die vom Grillengezirpe erfüllte Stille des Straßenbewuchses und der Bäume sie verschluckten.
    Ich kam zu den Pechblocks. Es waren nur noch Ruinen, fast eingestürzt. Als man sich die Statistik angesehen hatte, war man darauf gekommen, daß diese Gegend eine Keimzelle des Pechs gewesen war. Hier hatte es nur Ärger, Unruhen, kleine Epidemien und von der Pleite bedrohte Unternehmen gegeben. Man konnte das Pech zwar nicht erklären, aber es war nun einmal übel. Als die nächste Feuersbrunst ausbrach, baute man die Häuser erst gar nicht wieder auf.
    Ich ging über den flachgetretenen Schutt, trat gegen ein paar Ziegelsteine und forderte das Pech heraus. Es war kontrastreich, mondbeschienen und hatte schwarze Schatten, die solide aussahen. Und das waren sie auch.
    Im Morgengrauen wachte ich auf und sah zu, wie rosafarbenes Sonnenlicht die auf dem Dach des Gebäudes wachsenden Büsche beschien; sie wurden so hell wie die Kerzenflammen auf einem Geburtstagskuchen. Im Gras neben meinen Ohren sangen und zirpten die Grillen. Grashalme kitzelten mein Gesicht.
    Ich bewegte mich, verspürte Schmerz, lag still. Ich fühlte den Schmerz des Getretenwerdens. Es tat mir überall weh. Die Halbstarkenbande verstand eine Menge vom Treten. Es war ihr Recht. Ich hatte mich in ihrem Territorium aufgehalten. Normalerweise passiert mir nichts. Die meisten Leute mögen mich und haben nichts dagegen, wenn ich mich im Gebiet ihrer Kommune aufhalte. Eine Bande weggelaufener Halbwüchsiger war jedoch der Meinung gewesen, daß es an der Zeit sei, endlich mal zu zeigen, wer hier der Herr im Hause war.
    Nachdem sie mit dem Treten fertig gewesen waren, hatten sie mich außerhalb ihres Territoriums auf einem Bürgersteig zurückgelassen und mir die Finger mit chinesischen Fesselröhren an die Zehen gebunden. Es dauerte eine gewisse Zeit, bis ich mich befreien konnte und zur Karmischen Bruderschaft runterging, um in deren Kommune zu schlafen.
    Die Brüder im Vorderzimmer sagten, ich würde eine wichtige Gruppenmeditation stören, da ich schlechte Vibrationen ausstrahle und besorgt sei. Dann gaben sie mir eine Tasse Tee und schoben mich mitsamt meinem Schlafsack hinaus. Mich ziemlich ungeliebt fühlend, marschierte ich los und fing an, mir die Steifheit aus den Muskeln zu massieren. Ich mußte irgendwas Spaßiges tun, um wieder gute Laune zu kriegen. Ich verließ den Grüngürtel, um der Rettungsbrigade zu sagen, daß ich mir einen halben Tag freinahm.
    Als die Sonne hoch am Himmel stand, kletterte ich den Ostturm der George-Washington-Brücke hinauf. Ich nahm dabei die harte Tour über die Verstrebungen, klammerte mich mit nackten Händen und Füßen an, kletterte an herabhängenden Kabeln hinauf und setzte mich ab und zu irgendwohin, um das Glitzern der Sonne auf dem Wasser zu beobachten, das über dreißig Meter tief unter mir lag. Große Schiffe glitten auf dem Wasser dahin und sahen aus wie Spielzeuge.
    Der Wind blies gegen meine Haut. Manchmal war er warm, dann wieder kalt und feucht. Ich sah einem Wolkenteppich zu, der von Süden her über den Fluß trieb; er verdunkelte die Türme großer Gebäude, wurde zu einer dunkelblauen Insel auf dem hellen Blau des Flusses, kam näher und wurde größer. Dann lag eine lange Zeit ein kühler Schatten über der Brücke, und ich sah auf und beobachtete, wie sich zwischen mich und die Sonne eine dunkle Wattewolke schob.
    Die Wolke zog weiter, und das Licht gleißte. Ich schaute weg, hatte plötzlich schwarze Punkte vor den Augen und sah zu, wie der Wolkenschatten im Westen auf eine gigantische Klippe zusteuerte und hinter derem höchsten Punkt verschwand. Ich suchte mir einen Weg über einen steilen, abschüssigen Träger und bewegte mich äußerst vorsichtig, weil die Punkte immer noch vor meinen Augen waren.

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