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Der Esper und die Stadt

Der Esper und die Stadt

Titel: Der Esper und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine McLean
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vier Uhr beraten – oder von wem wurden Sie in dieser Zeit konsultiert?“
    Da versuchte ich ihr Tatsachen zu geben, und nichts davon schien in die blöden kleinen Spalten ihrer Vordrucke hineinzupassen. „Ich bin eine Menge herumgelaufen und habe nachgedacht; dann hatte ich allerhand zu klettern. Ich mußte auch eine Zeitlang warten. Dann fesselte ich eine Geisel, Akbar Hisham; später mußte ich ihn schleppen und wieder klettern. All das war Schwerarbeit; Arbeit für die Rettungsbrigade. Aber der letzte Teil war wohl mehr eine Entführung als eine Beratung.“ Ich sprach jetzt etwas lauter, weil sie gar nichts davon tippte. Sie sah mich nur an und biß sich auf die Lippe.
    Ich kriegte Kopfschmerzen und hatte Angst, wieder diese großen, silbernen Flugzeuge gegen irgendwelche Mauern rasen zu sehen. Dies hier war auch Schwerarbeit. „Kriege ich eigentlich für’s Fragenbeantworten Überstunden bezahlt?“ fragte ich.
    Plötzlich war Ahmed da und streckte einen langen Arm aus, um den Kassettenrekorder abzuschalten.
    „Nein, kriegst du nicht. Um Himmels willen, George, laß mich die Formulare ausfüllen, bevor du Janet in den Wahnsinn treibst. Ich kenne deine Stundenzahl. Judd nahm deinen Expertenrat telefonisch von zehn bis zehn Uhr dreißig in Anspruch, als er dir sagte, daß ich vermißt sei.“ Er wandte sich an das hübsche Mädchen. „Janet, tragen Sie ein, daß Judd Oslow ihn eine halbe Stunde konsultierte. Von zehn Uhr dreißig bis eins war er unterwegs, um Informationsmaterial zu beschaffen, selbiges auszuwerten und zum Ort des Geschehens zu gelangen. Das fällt unter den Oberbegriff Forschungstätigkeit und Transport, also Research, ohne Mittagspause, das macht zweieinhalb Stunden bei vollem Spezialistentarif. Von eins bis vier hat er mich beraten, aus einem Labyrinth herauszukommen und einer Ermordung zu entgehen. Georges Riecher ist wie eine Versicherung. Tragen Sie drei Stunden ein, in denen ich ihn konsultierte. An Spesen gab es zwei Mahlzeiten à 20 Dollar, denn Fahrtkosten und andere Ausgaben gehören zu seinem Beraterhonorar. Und zwei Mahlzeiten schulde ich ihm.“
    Janet tippte fleißig vor sich hin. Ihr hübsches Gesicht glühte.
    Als sie fertig war, nahm sie das Formular aus der Maschine, gab jedem von uns einen Durchschlag und lächelte Ahmed schmachtend an. „Vielen Dank, Mr. Kosvakatats.“
    Er lächelte mir zu. „Fühlst du dich besser?“
    „Mir geht’s gut.“ Mir fielen meine Schrammen wieder ein.
    „Na, dann komm.“
    Wir gingen hinaus und sahen uns die hohen Türme des Presbyterian Medical Center an. Auf den Landeplattformen starteten und landeten ununterbrochen Hubschrauberambulanzen.
    „Laß uns keine Zeit vergeuden, George. Stimm dich auf Carl Hodges ein“, sagte Ahmed und zog ein Notizbuch und einen Schreibstift hervor. „Hast du ein Bild von ihm dabei?“
    „Nein.“
    „Ich habe eins.“ Ahmed zog einen Umschlag aus der Tasche und reichte mir ein Foto.
    Es war, als würde der Boden unter unseren Füßen einen Satz nach oben tun. Die Dunkelheit kam wie ein Schlag, als das Hintergrundgesumme zahlreicher Bewußtseine sich von den Vibrationen der Stadt löste. Sie rauschte vorbei wie eine donnernde Welle, die die Schallmauer durchbricht. Ich schloß die Augen, um mich einzustimmen. Die Schockwelle klingelte immer noch durch das Bewußtsein der Stadt. Aber es war nicht mehr alles da. Ein klaustrophobisches Gefühl, das Gefühl, eingesperrt zu sein, hatte mich in die luftige Höhe der Eisenträger der Brücke getrieben. Es verschwand mit der sich auflösenden Gegenwart der vielen Geister, die sich eingeschlossen und festgesetzt fühlten. Sie hatten gesendet, nun erstarben sie.
    Ich machte die Augen auf. Die Welt war heller geworden – die Luft frischer. Ich atmete tief ein. „Etwas Großes“, sagte ich. „Etwas …“
    Ahmed schaute auf den Sekundenzeiger seiner Uhr. „Etwa eineinhalb Kilometer“, murmelte er.
    „Was machst du da?“
    „Irgendwo hat es eine Explosion gegeben. Ich rechne die Entfernung aus. Das Geräusch kommt zuerst durch den Boden, dann durch die Luft. Ich warte auf den Knall. Die Differenz kriege ich durch die Zeitverschiebung.“
    Das Geräusch des Sterbens der Unterseestadt kam nach dreißig Sekunden. Es war ein knirschendes Brüllen, gedämpft und leise, wie aus weiter Ferne.
    Ich machte die Augen wieder zu und spürte, wie sich um mich herum die Welt veränderte und zu etwas anderem wurde.
    „Hast du was, George?“ fragte Ahmed aufgeregt.

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