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Der Esper und die Stadt

Der Esper und die Stadt

Titel: Der Esper und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine McLean
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vermißter Personen vorlesen würde, könnten Sie mir dann sagen, welche davon gerade umgebracht worden ist?“
    „Nein, Sir.“
    „Nun, was können Sie dann?“
    „Ich kann Ihnen sagen, was die noch lebenden Vermißten fühlen – und wo sie sind“, sagte ich. „Ich bin mir nicht sicher, ob Tote überhaupt Gefühle haben. Vielleicht könnte ich mich in einen Toten einstimmen, dem man gerade das Herz herausgeschnitten hat, aber ich habe nicht vor, so was zu versuchen.“
    „Okay“, sagte der Polizeichef. „Aber damit sind uns die Hände gebunden. Ehe wir die Leiche nicht als die eines unserer Rechtsprechung unterliegenden Außenstehenden identifiziert haben, können wir nichts machen.“
    „Wenn wir den Mann kriegen und wiedererwecken könnten, könnte er sich selbst identifizieren. Ein Tod durch raschen Blutverlust ist nur ein Scheintod. Man könnte ihn in zwei Stunden zurückholen. Wir müßten ihn innerhalb von eineinhalb Stunden an ein künstliches Herz anschließen, und die Rettungsaktion dürfte nicht mehr als vierzig Minuten betragen“, sagte Judd.
    Der Polizeichef sagte: „Wäre jemand in der Nähe der Pyramide in der Luft und könnte mit einem Düsengürtel auf die Spitze springen, so könnte er sich eine Puppe schnappen. Strohpuppendiebstahl wird nicht besonders hoch bestraft. Aber wenn ein Polizeibeamter so was täte, würde die Hölle los sein. Es wäre ein Angriff auf die Rechte der Gemeinschaft. Ich muß dergleichen Aktionen also unter allen Umständen verbieten, haben Sie mich verstanden?“
    „Schon aufgezeichnet“, versicherte Judd ihm. „Für die Unterlagen.“ Er wandte sich zu unserem Schirm um und sah uns an. „Es wäre schon ein Drama, wenn einer von euch rein zufällig über der Aztekenpyramide aus dem Kopter fiele. Das wäre verbotenes Eindringen. Aber andererseits – was kann man dagegen tun?“
    „Nichts, wenn man Schwierigkeiten mit seinem Kopter hat“, sagte Ahmed. Er ging zu den Armaturen hinüber und setzte sich hinter die Kontrollen. Jede seiner Bewegungen war wohlüberlegt und vorausberechnet. Er las die Skalen der Instrumente ab.
    Wir mußten den Körper des Opfers in unsere Gewalt bringen und ihn dem Ambulanzkopter der Rettungsbrigade zugänglich machen, der in der Ferne über der Stadt kreiste. Und dabei mußten wir uns so verhalten, als sei all dies ein unvorhergesehener Zwischenfall. Nicht nur unser Kopter, auch alle anderen Fahrzeuge würden jedes unserer Worte aufzeichnen. Und wenn es zu einer Verhandlung kam, würde man alle Bänder abspielen, die zwanzig Minuten vor dem Unfall (oder dem Verbrechen) bespielt worden waren.
    Ahmed schob eine Hand unter das Armaturenbrett und löste ein Viereck-Modul.
    Der Kopter schoß nach oben, dann fiel er wieder und kippte. Ahmed bearbeitete die Kontrollen und brachte die Maschine wieder ins Gleichgewicht. „Da haben wir den Salat!“ rief er. Ein Aufwind blies uns schnell über die Dächer der Gebäude hinweg. „Mit den automatischen Kontrollen ist etwas nicht in Ordnung! Alle Mann die Düsengürtel anlegen. George – du nimmst zwei! Einen nach vorn, den anderen nach hinten. Für einen allein bist du zu groß.“
    Ich gehorchte, schob die Arme durch den Harnisch und befestigte die Unterleibsriemen. Ann tat es mir gleich und versorgte Ahmed mit einem Gürtel. Wie ein ausgenippter Lift fiel der Kopter wirbelnd in ein Luftloch. Wir jagten nur ganz knapp am Rande des Aztec-Buildings vorbei. Das kleine Stabilisationsmodul hatte uns vorzüglich in der Balance gehalten, bevor Ahmed es herausgenommen hatte. Der Kopter brüllte, tanzte hin und her, und Ahmed saß mit blassen Lippen hinter den Armaturen und kämpfte mit den Kontrollen. Über hohen Gebäuden bläst der Wind eher auf und ab als seitwärts. Ahmed brach unser Schweigen mit einem Satz, den man vor Gericht ohne weiteres abspielen konnte: „George, die Radarantenne am unteren Rumpf könnte dafür verantwortlich sein, daß wir hier so herumwirbeln. Kannst du mal rausgehen und nachschauen, ob sie in Ordnung ist?“ Er klang, als befänden wir uns wirklich in Gefahr. Das mußte er auch. Im Geiste hörten wir beide, wie dieser Satz vor Gericht wiederholt wurde. Man würde von uns verlangen, den Wahrheitsgehalt eines jeden Satzes vor einem Lügendetektor zu beschwören. Obwohl Ahmed log, mußte jedes Wort wahr sein.
    Ich öffnete die Tür, und der Wind brüllte hinein. Obwohl es so aussah, als befände sich unter der Maschine nichts anderes als leerer Luftraum, wurde ich den

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