Der Eunuch
Feldherrn, der nicht fürstlich, oder einen Offizier, der nicht adelig gewesen wäre? Doch auch die Bürger haben bei ihnen ein Recht - nur das Volk, das zuletzt alle ernährt und alle Lasten trägt, hat überhaupt kein Recht. Warum sollten die Regierenden daran etwas ändern wollen? Diese Könige, Fürsten und Grafen, diese Bischöfe und Großkaufleute bangen um ihre Völker, daß sie etwas von uns erfahren könnten. Wir sind nun einmal eine andere Welt. Alle sind wir Sklaven des Padischahs, also gleichen Rechtes, desselben, dem auch unser Padischah sich beugt. Wir haben nur ein einziges Recht, das Recht des Korans, den Allah durch seinen Propheten den Menschen als Richtschnur verlieh - bis in alle Ewigkeit.“ Beschir kniete vor Ahmed nieder und verbeugte sich bis zur Erde. „Amin“, sagte er.
„Amin“, wiederholten die andern, womit sie keineswegs Beschir ihre Zustimmung, wohl aber dem Koran ihre Ehrfurcht bezeigen wollten. Beschir jedoch wartete umsonst auf seine Verabschiedung.
„Das alles geht dich an, Ibrahim“, sagte der Sultan, dem das Nargileh ausgegangen war, „antworte ihm und frage ihn - ganz wie du willst.“
Des Großwesirs Verbeugung hob sich wesentlich von dem hastigen und familiären Ton des Sultans ab.
„Auf Befehl Euer Majestät“, erklärte er, „werde ich versuchen, der -erstaunlichen Ausführungen Herr zu werden, die wir soeben vernahmen. Soweit sie allerdings die Religion betreffen, gehören sie in die Kompetenz Seiner Heiligkeit, in die ich nicht eingreifen darf.“ Das klang sehr höflich, aber einen großen Gefallen tat er dem Mufti damit nicht. Es war klar, daß die ketzerischsten Äußerungen des Kislars auf religiösem Gebiet lagen; doch vor einer Diskussion mit dem Kislar fürchtete sich der Mufti. Möge Allah gnädig sein, dachte er, und glücklicherweise habe ja auch der Wesir das erste Wort. „Exzellenz wollen begreifen“, wandte sich Ibrahim an Beschir, „daß bei Ihren so ganz neuen Darlegungen das Wichtigste fehlt. Das sind die Folgerungen, die Nutzanwendungen, die Exzellenz daraus gezogen wissen möchten.“
Beschir besann sich nicht lange.
„Außer dem König von Wien“, begann er, „den die Deutschen Kaiser nennen, haben wir keinen gefährlichen Feind ...“
„Unverständiger!“ unterbrach ihn aber Ahmed. „Karl ist mein Freund. Willst du andere Freunde haben als ich?!“
".. . keinen gefährlicheren Freund“, verbesserte sich Beschir mit Gleichmut. Ihm kam es nur darauf an, vor dem Ende noch so viel wie möglich zu sagen, was sich in Ahmed festhaken könne. Jetzt wandte er sich an Ibrahim. „Ich habe mich stets zu der Friedens- und Freundschaftspolitik bekannt, die Hoheit vor zwölf Jahren einschlugen. Vor zwölf Jahren war sie die einzig mögliche. Es fragt sich nur, ob sie es heute noch ist. Der Gegensatz zwischen Frankreich und Österreich, der die Politik des Abendlandes beherrscht, besteht zu unserm Glück immer noch. Solange man also in Wien darauf erpicht ist, alle Königreiche und Länder, die Habsburg augenblicklich gehören, auch für die Zukunft behaupten zu wollen, wird man sich einen Angriff auf uns vorläufig noch nicht leisten. Die österreichischen Niederlande sind nur zu halten, wenn das Reich sich für sie einsetzt, aber für die Königreiche Neapel und Sizilien wird es mit Sicherheit keinen Mann marschieren lassen. Diese deutschen Fürsten und Kurfürsten sind nicht wie die Sandschak- und Beglerbeys Euer Majestät - sie tun, was sie gut dünkt.“
„Um so weniger haben wir von Wien zu fürchten“, glaubte der Großwesir vorstellen zu sollen.
„Um so mehr haben wir von Wien zu fürchten“, war aber Beschirs Meinung, „denn diese Unsicherheit der Reichshilfe zwingt es, seine eigene Macht zu stärken, was nur durch Angriff erfolgen kann. -Hoheit sollten sich jeden Schritt des Prinzen Eugen von Savoyen merken. Er verdient es. Er ist nicht allein seines Herrschers erster Feldherr und vielleicht überhaupt der größte lebende Feldherr, er ist auch trotz aller Gegner, die ihm in Wien nicht fehlen, Österreichs erster und bester Wesir. Hoheit haben ja mit ihm als einem Hoheit Gleichgestellten Briefe gewechselt, und so kennen Sie ihn ein wenig. Nun wohl, es ist kein Geheimnis, und sogar unser Schahbender in Wien berichtet, daß Eugen nichts so eifrig anstrebt wie den Austausch der ferngelegenen Niederlande gegen das an Österreich grenzende Bayern, wozu der bayrische Kurfürst nicht übel Lust zeigt. Man kann sicher sein, daß dem
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