Der Eunuch
Seine Hohe Exzellenz konnte sich nicht beschweren. Und dann saß der Präfekt des Harems, der Kurator zweier heiliger Städte und aller kaiserlichen Moscheen, unter dem Baldachin, er allein, während seine Begleitung sich minderer Plätze bedienen mußte. Neue Kommandos, neue Geräusche. Die Riemen schäumten das Wasser, das es sich willig gefallen ließ und in anmutigen Wellen an den Borden vorbeiglitt.
Pfeilgrad ging es zum Neuen Serail, zum Goldenen Horn, zur siebenhügeligen, kuppelbekrönten Stadt. War es ein Abschied? Sah er das alles zum letztenmal?
Nichts wußte Beschir, nicht einmal das: ob er Freiheit und Leben zu verlieren nicht dem vorziehen solle, was ihm obliegen würde, wenn er Freiheit und Leben behielte.
Ibrahim war erschöpft. Er kämpfte um die ihm entgleitende Macht. „Ich will nicht“, sagte Ahmed. „Ich habe ihn einmal verbannt, und es hat mich gereut.“
„Mein Padischah, es handelt sich doch nicht um Verbannung. Seine Heiligkeit ist bereit, das Fetwa zu geben, wonach ein Untertan, der sich dem Kalifen widersetzt, sein Leben verwirkt hat.“
„Es ist mein kaiserlicher Wille nicht“, erklärte Ahmed und wurde zwecks besseren Nachdruckes förmlich, um dann noch eine direkte Drohung hinzuzufügen: „Hüte dich, ihn anzurühren, sage ich dir!“ „Aber er ist ein gefährlicher Mensch!“ rief Ibrahim in seiner Verzweiflung.
Wie von einer höheren Macht berührt glätteten sich plötzlich Sultan Ahmeds Züge, es war, als löse er sich auf, und seine Stimme klang fast weise.
„Mein Ibrahim“, sagte er, „Allah ist allwissend. Aber ich und du? Was sind wir? Vielleicht sind wir gefährlicher als er.“
Ibrahim seufzte. Doch morgen sei auch noch ein Tag, tröstete er sich, und seine Frau, Fatime Sultana, sei Ahmeds Liebling.
Und dann ... sei zwischen heute und morgen eine Nacht.
3
Die Amtsentsetzungen regelten die Verwaltung im Osmanischen Reich, und so waren sie mit der zunehmenden Korruption ebenfalls häufiger geworden. Was aber der Grund im einzelnen auch sein mochte - und zuweilen war es nur der, daß der Inhaber eines Amtes einem Begünstigteren Platz machen möge -, so waren Sinn und Ziel der Absetzungen doch immer Beschränkung der Willkür. Solange ein Amtsträger nur sein Leben behielt, brauchte bei einer Enthebung - außer bei einem abgesetzten Padischah - die Laufbahn des Entlassenen noch lange nicht abgeschlossen zu sein.
Die Folgen und Formen der Absetzungen waren sehr verschieden. Man konnte freilich Kopf und Vermögen dabei verlieren, und das um so leichter, je größer das Vermögen und damit das Köpfen lohnender war. Denn das Vermögen verfiel selbstverständlich dem Schatz. Man konnte aber auch ein Hofamt mit dem eines Generalstatthalters vertauschen müssen oder, wenn es schlimmer kam, nur einfach verbannt und mit einer leidlichen Pension in die Provinz verwiesen werden. Schließlich gab es noch das ordnungsgemäße Aufhören einer Amtstätigkeit, das überhaupt keine eigentliche Entlassung war. Richterstellen wurden grundsätzlich nur auf zwei Jahre besetzt, und wenn der Berat, das Diplom, ich rechtzeitig erneuert wurde, trat der Stelleninhaber eben ab - zuweilen recht gern, nämlich dann, wenn er damit rechnen konnte, auf einen höheren Platz berufen zu werden. Aber auch ohne eine anschließende Beförderung konnte ein zur Ruhe Gesetzter fast in jedem Fall mit einer Rückberufung rechnen, meist in ein höheres Amt. Allerdings ließ man Männer, die der Ämter Macht und Einkommen geschmeckt hatten, nicht gern in Konstantinopel, wo sie nur zu viele Gelegenheiten hatten, ihre Rückberufung durch Intrigen zu fördern. Dennoch gab es Fälle dieser Art. Der des abberufenen Richters von Konstantinopel, Sulali Hasan Efendi, war ein solcher.
„Exzellenz. ..", sagte Sulali und kreuzte seine Arme über der Brust.
„Ich danke Ihnen, Hochwürden, daß Sie sich von den schönen Tulpen Ihres Meierhofes losgerissen haben und meiner Bitte zu kommen gefolgt sind. Wie steht es?“
„Nicht gut, wenn Exzellenz die Stimmung der Truppen in Skutari meinen. Iich fürchte sehr, daß man sich im Diwan unseres kaiserlichen Herrn völlig irrigen Vorstellungen hingibt.“
Sulalis Bedauern über den Ernst der Lage klang nicht sehr glaubhaft, und sein Partner schob den Kummer des geistlichen Herrn denn auch mit verständnisvollem Lächeln beiseite.
„Warum befürchten Sie? Warum bedauern Sie, Sulali Efendi?“ fragte er, und so begann die Unterhaltung des ehemaligen Richters von
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