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Der Eunuch

Titel: Der Eunuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Tralow
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weichen würde. Mit dieser Beratung ziehe die Sorge in die Sultangemächer. Aber nicht ihm, dem Großwesir, solle der Padischah das Mißvergnügen dieser Zukunfts- und Lebensangst zur Last legen, die jede seiner Freuden schon im Entstehen ersticken würde. Wenn der Erhabene seines Freundes und Großwesirs gedenke, dann nur als des Mannes, der ihm alle Sorgen ferngehalten habe, während Beschir . . . Unmerklich lächelte Ibrahim. Mögen sich der Mufti und Beschir immerhin um Hals und Amt reden, ihm könne das nicht schaden. Im Gegenteil! Beschir sei kein Dummkopf, und seine Fähigkeit, das Wirkliche hinter dem Scheinbaren zu erkennen und mit unerbittlicher Klarheit bezwingend darzustellen, sei sehr vorteilhaft für denjenigen, der sich der Ergebnisse zu bemächtigen wisse. Ibrahims Lächeln wurde genießerisch. Er habe recht getan, empfand er, seine Herrschaft auf diese beiden Großwürdenträger zu stützen. Zwölf Jahre lang habe er Vorteile über Vorteile von ihnen empfangen, und jetzt, da es gelte, sich einer schwierigen Lage zu entreißen, entdecke er, daß sie auch noch als Opfer zu verbrauchen seien.
    Und der Preis für alle diese schönen Dinge? Nichts. Nichts jedenfalls, was dem Großwesir weh getan hätte. Für des Muftis Söhne, Schwiegersöhne und Neffen waren es die Titel und Ämter der Oberstlandrichter von Rumili und Anatolien, von Europa und Asien gewesen und die ersten Richterstellen von Konstantinopel, Brusa und Adrianopel sowie einige Einsetzungen als Großimame an den vornehmsten Moscheen der Hauptstadt. - Es fragte sich allerdings, ob die Unzufriedenheit der anderen Ulema, die ihre Laufbahn dieserart vorbelastet sahen, so gering anzuschlagen sei; und wenn der Preis auch Ibrahim nicht weh tue - ob das gleiche vom Staat zu sagen sei, den Ibrahim vertrat? Hinzu kam noch, daß des Großwesirs Gefälligkeiten gegenüber dem Mufti nicht gar so dringend waren. Der Mufti brauchte den Großwesir, um sich in seinem Amt zu behaupten, nicht umgekehrt, er war keineswegs so unabhängig von Ibrahim wie der Kislar Aga. Nichts Schlimmeres hätte ein Großwesir begehen können, als sich in die Angelegenheiten des Serails und nun gar des Harems zu mischen! Gegen einen Kislar intrigieren ? Einen Kislar angreifen ? Die gesamte Weiblichkeit der kaiserlichen Paläste, von der kleinsten Rotznase bis zur erhabenen Kaisermutter, wäre gegen den Frechen aufgestanden, der sich dessen unterfangen hätte. Eine Macht wäre entfesselt worden, mit der es keine andere hätte aufnehmen können. Weil die Geschichten vom verrückten Schweden-Karl, dem zwölften seines Namens, auf eine Sultana Walide Eindruck gemacht hatten, war ein Großwesir, der dem unverschämten Flüchtling kühler gegenüber gestanden hatte, weggeschickt worden. Schweden aber schuldete heute noch das Geld für seinen König.
    Zur Zeit war Beschir Kislar Aga, und der hätte die Frage nach dem Machtgrad der Ulema, soweit sie nicht mit dem Mufti verwandt waren, beantworten können. Denn bei ihnen, den Zurückgesetzten, war der Grund zu suchen, warum Beschir über die Zuverlässigkeit der Truppen besser unterrichtet war, als einer der drei andern. Daß Ibrahim diese Tatsache nicht ahnte, war gewiß kein Amtsverbrechen - es war nur die Folge von etwas weit Gefährlicherem, von seiner Überheblichkeit und seiner gänzlich unbegründeten Selbstsicherheit.
    Besser wäre es gewesen, er hätte sie nicht gehabt. Sonst würde er sich vielleicht doch die Frage vorgelegt haben, was er denn eigentlich Beschir für dessen Dienst bezahlt habe? Und die Antwort wäre gar nicht so leicht oder überaus leicht gewesen. Sie hätte nämlich lauten müssen ... nichts. Nichts hatte der Großwesir dem Kislar Aga Beschir für dessen Dienste bezahlen können. Nichts hatte Beschir gefordert, und nichts hatte er bekommen. Er hatte alles nur aus seiner eigenen Überzeugung getan, und das war freilich ein Zustand, der für Ibrahim sehr unangenehm werden konnte, nämlich dann, wenn Beschirs Überzeugung mit Ibrahims Wünschen nicht mehr übereinkäme. Überzeugungen und Wünsche sind nicht immer dasselbe, und unter den gegenwärtigen Umständen konnte es sich als Fehler erweisen, daß der Großwesir die ihm von Beschir gewährte Hilfe, ohne weiter darüber nachzudenken, als ihm gebührenden Weihrauch, ihm geschuldete Dienste hingenommen hatte. Diese Hilfe war etwas ganz anderes gewesen. Aber das verstand Ibrahim nicht. Auf Charakter war er nicht eingerichtet.
    „Mit Freude bemerke ich“, sagte

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