Der Eunuch
Konstantinopel mit der hohen Exzellenz des Kislar Aga. Sie befanden sich in einem mäßig möblierten Raum, dessen kleine Öllampe die Einzelheit der Wandteppiche nicht mehr erkennen ließ. Trotz dieser und anderer Dürftigkeiten der Räume, über deren Zahl und Beschaffenheit sich kein Besucher zuverlässig Auskunft hätte verschaffen können, gehörte die Wohnung nicht nur einer Persönlichkeit wie Elhadsch Beschir - zuweilen bediente er sich ihrer sogar. - Der Öffentlichkeit entzog sich diese Tatsache freilich vollkommen.
Die Leute in Konstantinopel, denen der Klatsch über hochgestellte Persönlichkeiten Bedürfnis war, also die Mehrzahl aller Einwohner, wußten nur, daß der Kislar Aga außer seiner Dienstwohnung im kaiserlichen Harem noch einen eigenen Harem unterhalte. Man kannte auch sein mauernumschirmtes Landhaus an den süßen Gewässern, und niemand wunderte sich über diesen Harem. Einige andere Großeunuchen hatten ebenfalls welche. Von Beschir rühmte man obendrein mehr als eine kriegerische Tat, die er in seiner Verbannungszeit als Emirol hadsch, als Fürst der jährlichen Pilgerkarawane nach Mekka, im Kampf mit räuberischen Beduinenstämmen begangen habe. So und nicht ohne Grund stellte man sich jedenfalls die Muße einer Verbannung bei diesem hohen Eunuchen vor, nachdem er als Schatzmeister des Harems abgesetzt worden war. Auch jetzt noch verschmähte er die seinem Alter erlaubte Kutsche, und bei Staatsaufzügen konnte die verehrliche Öffentlichkeit ihn darum bewundern, wie er nicht gerade sanftes arabisches Vollblut mit sicherer Hand bezwang. Bei ihm wunderte man sich über gar nichts. Nicht einmal über geheimnisvolle Wohnungen hätte man sich gewundert, wenn man von ihnen gewußt hätte. Der Raum, in dem er mit Sulali verweilte, war ganz mit anderen Räumen und die wieder waren mit dem Besestan, dem großen Basar, völlig undurchsichtig verschachtelt. Mannigfaltige Ein- und Ausgänge hatten sie, die ihr Aussehen nach einmaligem Gebrauch sofort so veränderten, daß es selbst für die allerdings mit großer Vorsicht eingeführten Besucher hoffnungslos gewesen wäre, sie wiederfinden zu wollen. Sulali war bei einem Silberschmied eingetreten, aber inzwischen gab es keinen Silberschmied mehr, und von der Kette der Personen, die den Richter geleitet hatten, kannte er seiner verbundenen Augen wegen keine einzige, keine einzige kannte ihn und niemand den ganzen Weg. „Verbündete, die es sind oder werden wollen, sollten aufrichtig zu-einander sein“, meinte Beschir. „In jedem Fall sparen wir Zeit, und belügen können wir uns doch nicht. Iich habe Sie gerufen, und Sie sind gekommen. Das sagt alles.“
Auf dem Polster der Gerechtigkeit sah Sulali recht stattlich aus, wenn er jedoch stand, war er ein untersetzter Mann von kaum Mittelgröße. Seine Beine waren etwas kurz geraten, und die immer geredete Haltung, in der ihm nie eine Nachlässigkeit unterlief, ließ auf seinen Wunschtraum von einer hohen, eleganten Gestalt schließen. Intelligente Männer mit Sulalis Figur und seinen Träumen sind ehrgeizig. Sulali war ehrgeizig. Es gelang ihm auch, harmlosen oder an ihm nicht interessierten Menschen einen Eindruck von sich zu vermitteln, der durchaus nicht der Wirklichkeit entsprach. Die braunen, zusammenstehenden Augen strahlten in ganzen Garben Treuherzigkeit aus. Der Mund, dessen dünne Lippen der Bart verbarg, lächelte Wohlwollen - eigentlich war es mehr der Bart, der Wohlwollen lächelte. Das Verräterischste an ihm war seine Stirn. Sie hätte vor Verstand warnen können, wenn nicht die Art, wie er seine Brauen hochriß, ihn im nächsten Augenblick glücklicherweise schon wieder als einen Dümmling von Allerweltsbildung hätte erscheinen lassen. Für Janitscharen und solche Leute war er der richtige Mann.
Aber Beschir war kein Janitschar. Der Großwesir, dachte er, habe sich recht verhängnisvoll in Sulali geirrt. Der Ehrgeiz großer Talente und gar erfolgreicher könne beschwerlich werden - ein Kanalräumer, der sich in seinem Ehrgeiz, Oberkanalräumer zu werden, enttäuscht sehe, bedürfe, wenn er irgendwo Einfluß habe, beständiger Überwachung. Kanalräumer sei Sulali freilich nicht, aber auch kein überragendes Talent, dabei zu gescheit, um sich zu bescheiden.
„Besagen Ihr Rufen und mein Kommen wirklich alles?“ fragte Sulali. „Eure hohe Exzellenz könnten mich prüfen wollen, ob ich noch immer ein zuverlässiger Sklave unseres erhabenen Padischah sei, und ich ..." Sulali
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