Der Eunuch
sehr, wie nach deren Betätigung verlangte.
Gestern abend, dachte Julienne, während ihre Hände über Elena glitten, sei es etwas hart hergegangen, und einige Tage dürfe es wohl dauern, bis die Folgen der Ungezogenheit ihrer Kleinen nicht mehr zu sehen sein würden. Verdient habe es das freche Ding. Schon in Rodosto habe sie, Julienne, sich über sie ärgern müssen ...
Aber alle diese erzieherischen Erwägungen endeten zuletzt doch nur in einem leichten Seufzer. Nichts wurde Julienne schwerer, als das, worin die meisten Menschen so große Fähigkeiten entwickelten, nämlich, sieh selbst zu belügen. Eben aber, sagte sie sich, sei sie auf dem besten Wege gewesen, es zu tun. Wohl habe sie - das sei nicht zu bezweifeln - als eine echte und rechte Zuchtmutter gehandelt. Anders habe sie sich der Kleinen auch gar nicht erwehren können. Sie sei auf das Zusammenleben mit ihr, das sie auch gar nicht missen möge, angewiesen, und habe nur das Mittel angewandt, das dieses gemeinsame Leben allein ermögliche. Im Grunde jedoch sei es auch diesmal wieder Elena und nur sie gewesen, die ihr die Rute in die Hand gedrückt habe, und so sei es ganz unnötig, daß ihr das gierige Gesicht der Batthany erscheine, wie es war, als die Gräfin der öffentlichen Auspeitschung ihrer Leibeigenen zusah. Zwischen rohen Heiduken mit derben Hofpeitschen und einer rutenbewehrten Damenhand im Boudoir oder auch in einem gepflegten türkischen Baderaum sei ein Unterschied — ein sehr großer! Überhaupt habe das eine mit dem andern nicht das geringste zu tun. Liege ihr nicht Elena jetzt, nach ihrer Bestrafung, beruhigt und glücklich im Arm . . .?
Julienne schalt sich dumm und verwirrt, aber gerade damit rief sie nur ihren eigenen Verstand auf über das, was ihr so fremd war, sich Klarheit zu verschaffen. Nun ja . .. durch die Schläge sei das Blut in die Körpermitte gepreßt und dort der Trieb entfesselt worden. Aber dieser rein mechanische Vorgang könne unmöglich das Wesentliche sein und sei es auch nidit. Denn fast alle, die der Rute sich hingeben, verlange es danach, jedes Selbstbewußtsein, jeden eigenen Willen, jede Scham, die ganze eigene Persönlichkeit der andern, um ein Teil von ihr zu werden, in Schmerzen hinzugeben. Befreiung vom Ich sei das, ursächlich das gleiche wie der Drang, der den Menschen auf hohem Felsen nach dem Tod der Tiefe ergreife.
Allein in der Christenheit habe es seit über eineinhalb Jahrtausend immer wieder Menschen mit der Hoffnung gegeben, durch völlige
Selbstentäußerung und Kasteiungen den Himmel erstürmen zu können. Mit Todes- und Lebenssucht werde der Mensch nun einmal geboren. Beide seien wohl nicht immer gleich stark, aber stets lebendig zugegen in den vom Machtrausch Besessenen sowohl, wie in den selbstgewollten Sklaven, die nur darauf warten, ihres Selbst entkleidet, in eine erträumte Verwandlung einzugehen.
Julienne schloß erschrocken die Augen.
Sie versuchte, an den lebengefährdenden Mut und die lebenerhaltende Feigheit und alles mögliche andere zu denken; aber das befreite sie nicht von dem Wissen, daß selten ein chemisches Element rein aus der Retorte steige, und ihr kam aus der Retorte eine Ahnung von dem, über dessen Unverständlichkeit sie so oft fast verzweifelt gewesen war.
Stets hatte sie Sklaven, die sich beugten, Leibeigene, die sich nicht widersetzten, nicht rächten, bitterer gehaßt, als die Unterdrücker, die der Mangel an Widerstand zu den gröbsten Scheußlichkeiten geradezu ermutigte. Ohne Sklaven gäbe es keine Tyrannen, dachte sie, und die Sklaven seien zuerst dagewesen. In allen Zeiten habe es harte Despotien von großer Zähigkeit gegeben, die von den vergewaltigten Völkern bei einer Gefahr mit wilder Leidenschaft verteidigt worden seien. Julienne hatte das früher nie verstanden.
Jetzt wußte sie die Antwort.
Aber auch das wußte sie jetzt, wo der Hebel anzusetzen sei, und sie nahm sich vor, mit Beschir darüber zu reden.
Julienne war nicht in einer Mädchenwelt aufgewachsen, nicht in einer Klosterschule und nicht in einem ähnlichen Internat, selbst Mädchen mit den andern unter Aufsicht von Erzieherinnen, die ebenfalls Mädchen waren. Nichts hatte sie von gleichgeschlechtlicher Liebe unter Frauen gewußt, die in derartigen Verhältnissen kaum zu vermeiden war. Erst durch Elena war sie mit einer Möglichkeit bekannt gemacht worden, von der sie sich selbst ganz kühl den Vorteil versprochen hatte, daß ,man dann ja keine Männer mehr nötig habe'.
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