Der Eunuch
etwas“, lachte Julienne. „Doch das macht nichts. Iich laß dich massieren, und nach drei Tagen ist nichts mehr zu sehen.“
Elena fuhr mißtrauisch auf. Vor Juliennes Phantasien hatte sie Angst.
„Du läßt mich ...? Selbst willst du nicht? Aber dann laß es wenigstens deine Zoe sein“, bat sie. „Zoe weiß Bescheid, und bei der macht es nicht viel.“
Aber Julienne hatte ihre Freude daran, Elena ein wenig zu schrecken. Und dann steuerte sie im Gespräch auch ein Ziel an, dessen Bedeutung für sie die Freundin nicht wissen durfte.
„Und wenn es nun ein sehr guter Masseur wäre?“ fragte sie.
„Nein! Bitte nidit! Keinen Mann.“
„Du hast didi doch gestern bei deinen Frechheiten nicht geschämt.“ Statt einer Antwort warf Elena sich herum und vergrub ihr Gesicht in den Kissen.
Ganz reizend fand es Julienne, daß Elena trotz des Klosters die Fähigkeit, sich zu schämen, immer nodi besaß, und sie nahm sich vor, davon gelegentlich nodi Gebrauch zu machen. Jetzt jedoch faßte sie die Freundin an den Schultern und drehte sie herum.
„Sei nicht so zimperlich“, sagte sie. „Als wenn ich nicht wüßte, was ihr in euren Klöstern treibt. Dabei meine ich nicht einmal einen so ganz richtigen Mann. Wozu haben deine Verwandten dir den Mardian überlassen, den Eunuchen? Du sagtest, er sei Damenarzt?“
„Und Lehrer!“ fügte Elena hinzu. Sie war offenbar stolz auf ihren Familieneunuchen und nicht gewillt, auch nur einen von seinen Vorzügen preiszugeben.
„Aber Damenarzt doch auch“, beharrte Julienne, „und ich möchte bei dir von ihm Gebrauch machen. Sieh mal, Elena“, log sie mal wieder, „du weißt doch, daß wir in Kanada von Eunuchen keine Ahnung hatten. Iich möchte gern so einen näher kennenIernen. Wozu hast du ihn denn? Nur um dir griechisch vorlesen zu lassen, weil ich das nicht verstehe, und ihr euch mir gegenüber damit aufspielen könnt? Oder daß er dir alte Geschichten aus Byzanz erzählt, das gar nicht mehr da ist?“ „Oh, Thea, er ist sehr, sehr gelehrt!“ versicherte Elena eifrig. „Wenn er zum Islam übergetreten wäre, hätte er längst eine große Staatsstellung als Professor oder noch höher. Bis ich ins Kloster kam, hat er mich unterrichtet, und was ich weiß, habe ich eigentlich nur von ihm. Und als ich heiratete, war er es, der durchaus als mein Lehrer zu mir wollte. Die Verwandten hatten gar nidits damit zu tun. Er hätte hingehen können, wohin er wollte - irgendwo hätte er stets eine bedeutende Stellung bekommen. Aber er ist so anhänglich, Thea. Es ist einfach, daß er midi lieb hat!“
„So? ,lieb hat? ' Aber dann kannst du doch ..."
„Etwas peinlich wäre es schon; aber er würde midi nicht verklatschen, daß ich es noch mit der Rute bekomme.“
Damit warf sie sich über Julienne und bedeckte sie mit Küssen, die entgegengenommen und erwidert wurden.
Nach dem Abebben dieses Gefühlsausbruches verlangte Julienne, daß Elena ihr alles sage, was sie über Eunuchen wisse. Elena meinte, daß es der Takt verbiete, über dieses Thema, das nicht auf dem Studienplan der Klosterschule gestanden habe, sich von Mardian einen Vortrag halten zu lassen. - Sie selbst hatte seit ihrer Heirat zwar manches hinzugelernt; aber es stellte sich doch heraus, daß Mardian ziemlich prüdes war oder sich wenigstens seiner Schülerin gegenüber so gab.
„ Iich glaube“, konnte Elena nur vermuten, „heute macht man es nicht mehr, daß man . . alles entfernt . . .“
Julienne wußte viel mehr. Sie hatte manches darüber gelesen. In der Serailbibliothek, aus der sie durch Beschir Bücher erhielt, befanden sich auch lateinische Schriften. Sie war in Ungarn aufgewachsen, und jeder gebildete Ungar kannte ein wenig Latein, die Sprache der Landtage und Behörden.
„Ich bin überzeugt, daß man zu allen Zeiten verschiedene Verfahren anwandte“, sagte sie, „auch das, den Knaben, wie du es erwähntest, nichts zu lassen. ,Cazimazier‘ nannte man sie. Vielleicht sind die Sopransänger in unserer Apostelkirche solche Eunuchen. Achte einmal darauf, wenn du sie den cherubinischen Lobgesang singen hörst. .Laßt uns, die wir auf geheimnisvolle Weise die Cherubim abbilden‘ - weißt du?“ ,Meinst du, daß die hohen Stimmen damit zusammenhängen?“
„Bist du wirklich so dumm?“
„Mardian spricht viel tiefer“, verteidigte sich Elena.
„Dann wird er wohl noch Verschiedenes haben.“
„Ach sooo ist das.“ — „Ja, so ist es“, bestätigte Julienne trocken. „Dann waren es
Weitere Kostenlose Bücher