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Der Eunuch

Titel: Der Eunuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Tralow
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keine Sopransänger, von denen die Polly sprach. Sie war auch im Kloster und sagte mir, daß manche Eunuchen viel leidenschaftlicher seien und viel mehr Kunst ... aber Kinder können Sie nicht kriegen!“ schloß Elena.
    „Wer? Die Eunuchen?“ neckte Julienne.
    „Die Frauen können von den Eunuchen keine Kinder kriegen! und das ist doch schließlich die Hauptsache."
    „Und die Leidenschaft, die Kunst? Für dich bedeutet das wohl gar nichts . .. Laß mich los! Iich ersticke! “
    Elena aber schloß ihr noch immer mit Küssen den Mund.
    „Du kleines Biest!“ Mit diesem Schrei befreite sich Julienne. „Übrigens“, fuhr sie fort, während sie noch nach Atem rang, „was deine Polly sagte, überrascht midi gar nicht. Die phrygischen Eunuchenpriester der Kybele waren im ganzen Altertum als große Erotiker berühmt und in ihrem Zustand besonders von den Frauen geschätzt. Kannst du dir ja denken!“
    „Was du nicht alles weißt . ..“, staunte Elena.
    „Wenn ich du gewesen wäre, wüßte ich viel mehr. Aber in Montreal am Sankt-Lorenz-Strom lernt man so etwas nidit, und einiges ist mir dennoch bekannt. Juvenal schrieb einmal darüber. Das war ein römischer Schriftsteller, wenn du es nicht wissen solltest. Er schrieb, daß Dich die vornehme junge Herrenwelt nur den Damen zuliebe auf diese Weise herrichten lasse. Nur wegen des Nichtkinderkriegens geschah das gewiß nidit. Damals war man nicht sehr heikel, und wenn die Damen einen Mann hatten, galt er ohne weiteres als Vater - mochte er es nun sein oder nidit. Es geschah, weil die Damen leidenschaftliche Liebhaber von großer Ausdauer haben wollten. Wenn das damit nicht erreicht worden wäre, hätten die Herren ihren Arzt nicht bezahlt. Vor allen andern war das der große Heliodor, und der war nicht billig. Sonst hätte er kein Millionenvermögen hinterlassen.“ „Aber Mardian ... Iich weiß, daß er midi liebt.“
    „Dein Mardian ist ein Tropf. Wahrscheinlich ist er schüchtern. Aber so sind sie nicht alle. Herodot hat auch schon über die unbändige Erotik der babylonischen Eunuchen geschrieben. Und wie erklärst du dir das, meine Süße, daß fast alle reichen Eunuchen ihre eigenen Hareme haben? So etwas kostet Geld, und die meisten sind geizig.“ „Dieser Mardian!“ sagte Elena, als sei sie bei diesem Gespräch auf einen ganz durchtriebenen Mardian gestoßen, den sie nodi gar nicht gekannt habe. „Glaubst du, daß er deswegen zu mir wollte?“ „Jedenfalls nicht, um von dir Griechisch zu lernen.“

24
    Jeden Morgen verließ Bonneval in aller Frühe sein Haus, um in einem Boot von Pera nach dem asiatischen Ufer überzusetzen. Jeden Morgen pilgerte eine Zuschauermenge, darunter viele Militärs, nach Skutari zum Truppenübungsplatz, um Bonneval dort mit seinen Kumbaradschi, seinen Bombardieren, exerzieren zu sehen.
    Es war auch etwas ganz Neues und völlig Ungewohntes, was dort vor sich ging. Die Janitscharen übten in Konstantinopel so gut wie nie. Fast alle hatten ihr kleines Gewerbe, und der Dienst wurde mehr als Belästigung empfunden. Gerade nodi aufrecht erhalten wurde er. Daneben gab es noch eine besondere Art von Janitscharen, deren Zahl immer größer wurde. Ihr Dienst endete damit, daß es ihnen gelang, ins Register aufgenommen zu werden, um von da ab den Sold als eine Art Rente zu beziehen und auch die mannigfaltigen anderen Vorteile zu genießen, ohne sich dank ihrer guten Beziehungen sonst irgendwie nodi bemühen zu müssen. Die aktiven und wirklichen Janitscharen aber konnten auf Waffenübungen deswegen verzichten, weil sie in den Schlachten gewohnt waren, durch ihre Masse und durch ihre zweifellos vorhandene Tapferkeit zu wirken, ein Verfahren, das jedoch durch die Entwicklung der Waffen und der Kriegsführung überholt war.
    Allerdings kamen die Janitscharen bei ihrer Taktik mit ganz wenig
    Offizieren aus. Selbst die Soldsipahi und die Lehensreiterei hatten das Mehrfache an Vorgesetzten. Und nun sah man in Skutari die Herdschaft der Kumbaradschi, insgesamt etwa viertausend Mann, in Regimenter, Bataillone, Kompanien und Züge aufgeteilt, unter dem Kommando von zahlreichen Offizieren und Unteroffizieren sich auf einem verhältnismäßig kleinen Raum wie ein geregeltes Uhrwerk bewegen, ohne Stauungen und unvorhergesehene Zwischenräume die Richtung wechseln, schwenken, sich teilen und zu Linien zusammenfinden, wie es dem Willen des Kommandierenden entsprach. Jedem Zuschauer war es klar, daß selbst die kleinste Einheit, ja der einzelne nach

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