Der Eunuch
großen Eindruck, den er auf sie gemacht, und der sich bis jetzt auch nicht abgeschwächt hatte, war das geschehen. Durch ihn war sie mit den beiden anderen in Berührung gekommen.
Der Bestaussehende von den dreien war zweifellos Franz Rakoczy. Schon in seiner Jugend fielen Vergleiche dieser Art meist zu seinen
Gunsten aus, und bei den Damen war er - obwohl alles andere als ein Eroberer - gut gelitten. Noch immer hatten seine dunklen Augen ihren Glanz bewahrt. Seine blauschwarzen Haare waren freilich angegraut, besaßen aber noch ihre alte Fülle, ebenso wie sein nach beiden Seiten lang ausgezogener Schnurrbart sich trotz Kloster und Askese behauptet hatte. Dieser Schnurrbart täuschte Husarenstückchen vor, die nie geritten worden waren. Rakoczy glich eher einem Kater, dem die Ratten schon den Schwanz annagen müßten, sollte er sich erheben, um dann allerdings so viel wie möglich von seinen Angreifern nach bewährten Katerregeln abzutun. Er hatte sich seine Aufgabe nicht selbst gestellt, sondern war in sie hineingeschliddert. Einmal unauflöslich mit ihr verbunden, war sein Verfahren vom Standpunkt seiner feudalen Klasse untadelig gewesen. Vor allem hatte er den Aufstand entpöbelt, zu einem aristokratischen gemacht und dafür gesorgt, daß im Falle eines Sieges nicht etwa das Volk -ein in politischer Hinsicht unvorhandenes Etwas - am Erfolg der eigenen Kämpfe und Leiden beteiligt gewesen wäre. Auf diese Weise hatte Rakoczy seinen großen Namen bekommen. Die Lohnschreiber der Feudalen und der aufstrebenden Geldmacht wußten, was sie ihren Brotgebern schuldig waren.
Aber ebenso begreiflich war es auch, daß es Julienne nicht verlockt hatte, diesen Mann dem Kloster und der Askese zu entreißen, zumal nicht nach ihrem letzten Gespräch mit ihm. Der schöne Schein langweilte sie, und sie log nidit: es gab wenig, was sie so haßte wie Langeweile.
Das gleiche hätte sie von Bonneval nicht sagen können. Im Geist sah sie ihn oft in ihrem abendländischen Kreis von Bischöfen, kaiserlichen Offizieren, ungarischen Adeligen, Kavalieren und Damen sich selbstherrlich ausbreiten. Sie wußte keinen von den andern, der ihm gleichgekommen wäre. Aber alle hatten dieselben Vorurteile, denselben Gedanken wie Bonneval, nämlich sich selbst. Wenn Julienne, ohne Beschir zu kennen, auf Bonneval gestoßen wäre, hätte seine geistige Überlegenheit wahrscheinlich viel unmittelbarer auf sie gewirkt, sein beginnender Embonpoint sie kaum abgelenkt.
Aber sie kannte Beschir, den Mann des vorurteilslosen Wissenwollens und eines umfassenden Wissens. Beidem verdankte er seine überlegene Ironie. Sie kannte den Mann, der sich, durchdrungen von seiner selbstgewählten Mission, als einzelner dem Einbruch eines - wie ihn dünkte - entmenschten Abendlandes entgegenstemmte, einem Einbruch in seine eigenen Welten. Sie kannte seine aus sich selbst geborene Würde jenseits jeder ererbten.
Dabei hätte Julienne nicht Julienne sein müssen, wenn sie für sein Allzumenschliches nicht jederzeit ein Lächeln bereitgehalten hätte. Das Alter des ausgemergelten, aber straffen Mannes gehörte freilich nicht zu dem, worüber sie lächelte. Für sie bedeutete es etwa so viel wie Bonnevals beginnende Fülle. Kein Alter war für sie ein Hindernis, wenn ihre Fähigkeit zur Vergeistigung, auf die sie allein jetzt angewiesen war, ihren Trieb ergriff. Die Verwandlung von Geist in Fleisch würde ihr in ihrem jetzigen Zustand leichter fallen als das Umgekehrte. Von Geist hatte sie genug.
Julienne war ein Mädchen ... eine junge Frau ... sie begehrte das Fleisch.
Anscheinend hatte sie es im Arm, und zwar in Gestalt der jungen Witwe, der kleinen Mädchenfrau Elena Gika, die sich gerade herumwarf und ihre Nase in Juliennes Achselhöhle bohrte. Elena war wieder zu Hause und schlief wieder im gemeinschaftlichen Bett mit Julienne. Alles war gut.
Es sei zu grausam, sie jetzt zu wecken, dachte Julienne und ließ sich von Elenas Beinen und Armen umklammern. Mütterliche Gefühle überkamen sie, als sie so auf ihre kleine Schwarze hinuntersah, also gerade das ergriff sie, worauf es Elena so sehr ankam, auf Gefühle, die sie in der größeren Freundin mit so vielem Fleiß geweckt hatte.
Es war überhaupt ganz anders, als man auf den ersten Blick vielleicht hätte annehmen können. Julienne, die scheinbar so klare, willensstarke Julienne, war in ihren eindeutigen Beziehungen zur Freundin keineswegs die Verführerin gewesen, noch war sie es jetzt. Wohl übte sie das
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