Der Eunuch
unbedingt nötig gewesen wäre, ein Erheben Gleichrangiger, die ebensogut hätten sitzen bleiben können, und vor allem: Bonneval brauchte nicht zu warten. Der diensttuende Tschausch führte ihn sofort bei Seiner Hoheit ein.
Die Überraschung jedoch war Ali Hakimsade selbst. Nachdem er durch eine Handbewegung seine Umgebung mit Einschluß des Dolmetschers entlassen hatte, erhob er sich , der Großwesir, von seinem Polster, was selbst einem Pascha von drei Roßschweifen gegenüber eine Gunst gewesen wäre.
„Mein Herr Bruder“, sagte Ali und streckte dem einfachen Militäraga lachend die Hand hin, „ich sehe Sie nicht zum erstenmal.“
Das größte Wohlwollen für Bonneval war es aber, daß Ali französisch sprach.
Alis Muttersprache war italienisch. Auch seine Mutter war Venezianerin. Dennoch beherrschte er mehrere Sprachen und natürlich türkisch in einer Weise, daß er damit auch vor den Efendi bestehen konnte. Ali mit seinem blassen, schwarzumbarteten Gesicht, seinen gepflegten Händen und seiner Haltung von lässiger Überlegenheit war ein Tschelebi, ein gebildeter Herr, der, wenn nicht in hohen und höchsten Stellungen, nur noch als gelehrter Privatmann denkbar war. Bonneval und Ali waren wie geschaffen, sich zu ergänzen. Erstaunlich war nur das Fehlen jedes Talentes für Fremdsprachen beim Grafen. Mit seinem Französisch wußte er freilich umzugehen, wenn seine Spottgedichte auch kaum als literarische Versuche gelten konnten.
Einzig und allein der Stoff hatte sie berühmt gemacht. In Wahrheit war auch das Französische für ihn eine Fremdsprache geblieben. Eine Überraschung, eine Erregung ließen ihn unweigerlich in den wenig lieblichen Dialekt aus dem Limousin verfallen, der erst übersetzt werden mußte, um von einem Franzosen verstanden zu werden. Sonst allerdings war sein Wissen so universell, daß es zur Grundlage einer dauernden Freundschaft mit Leibniz hatte werden können. „Hoheit sahen mich?“ fragte Bonneval erstaunt. „ Iich bitte um Entschuldigung ..."
„Sie mißverstehen midi, Ahmed Aga“, sagte Ali. „ Iich sah wohl Sie, doch Sie nicht mich. - Aber wollen wir uns nicht setzen?“
Damit wies er einladend auf das Polster, was ebenfalls ungewöhnlich war, Bonneval jedoch die Gelegenheit gab, seinen pfortenmäßigen Takt dadurch zu beweisen, daß er sich nicht als Gast zuerst, sondern als Aga nach dem Großwesir setzte. Sitten und Gebräuche lernte er schneller als die türkische Sprache.
„Die Leute bestaunen Sie“, fuhr Ali Pascha fort. „So mischte ich midi denn unter die Zuschauer, als Sie mit Ihren Kumbaradschi exerzierten. Übrigens ganz lehrreich: Zehntausende, Hunderttausende haben midi bei meinem Einzug in allem Prunk gesehen. Meinen Sie, es habe midi einer erkannt, als ich in Skutari unter der Menge stand? Dafür habe ich Sie und Ihre Methoden um so besser studieren können. Dieselben Entwicklungen, das gleiche Zusammenströmen zu einem schier unentwirrbaren Knäuel, um dann nach Minuten in einer sauberen Marschformation dazustehen, ohne daß ein Mann auch nur des andern Ärmel berührt hätte. Und nun gar die Gefechtsstellung, ohne daß ein Mann den andern behindert, und bei der doch der Zusammenhang stets erhalten bleibt! Alles entspricht der Denkschrift, die Sie Osman Pascha einreichten, und die ich mit Bewunderung las.“
„ Iich bin überrascht, daß Hoheit.. .“
..... und ich bin überrascht, daß Sie überrascht sind, mein Ahmed.
Von der großen Masse ist nichts anderes zu erwarten: Topal Osman war als Freund der Franzosen bekannt, und infolgedessen muß sein Nachfolger Franzosenfeind sein. Unfaßbar ist es den Leuten, daß eine Leistung losgelöst von allen persönlichen Umständen beurteilt werden könnte. Iich würde auch dann der Freund Ihrer Leistungen sein, wenn ich Ihr Feind wäre, auch wenn Sie Perser oder Russe wären.“
Die beiden Herren lachten.
„Perser und Russen sind also schlimmer als Franzosen?“ fragte Bonneval.
„Sollen wir die Perser lieben?“ gab Ali zurück. „Vielleicht ihre Dichter. Aber sonst! Wir haben sie stets geschlagen; aber immer kommen sie wieder. Wenn man von ihrer Großspurigkeit absieht, bedeuten sie nicht viel. Sie sind die Hunde an unserer Flanke, die uns bei ernsteren Auseinandersetzungen mit den Deutschen stören. Und die Russen? Wer wußte etwas von ihnen zur Zeit Solimans, wie ihr Europäer unseren Suleiman nennt? Tributpflichtige unserer Tataren waren sie. Niemand kümmerte es groß, wenn ein Fürst von
Weitere Kostenlose Bücher