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Der Eunuch

Titel: Der Eunuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Tralow
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Moskau uns seinen Gesandten schickte — höchstens die Pelzhändler. Und nun beginnen auch sie allmählich lästig zu werden.“
    „Lästig zu werden?“ wiederholte Bonneval voll Verwunderung. „Zweifellos haben Hoheit die russische Gefahr längst erkannt?“ „Gefahr? Glauben Sie ernstlich an eine russische Gefahr?“
    „Hoheit nicht?“
    Unverkennbar besaß Bonneval in dieser Hinsicht eine starke Überzeugung, und darüber hinwegzugehen, war Ali Pascha nicht der Mann.
    „Eine Meinung von Ihnen wird mir immer wertvoll sein“, sagte er. „Dürfte ich sie hören?“
    „Wie Hoheit befehlen.“ Bonneval verneigte sich leicht, um dann zu beginnen: „Die russische Gefahr hat bereits seit der Gründung des Großfürstentums Kiew bestanden. Russische Flotten erschienen vor Konstantinopel. Also zu einer Zeit, als auf dem Schwarzen Meer nodi Platz genug für sie gewesen wäre, empfanden sie unsere Meerenge bereits als ein Hindernis. Großfürst Swjatoslaw von Kiew versuchte die Erstürmung zu Lande und eroberte tatsächlich Moldau und Walachei, wurde zuletzt aber durch die überlegene byzantinische Taktik und einen großen Feldherrn, den Kaiser Johannes Timiszes, überwunden. Swjatoslaw I. wurde auf der Flucht von den Petschenegen erschlagen. Dies waren die ersten frühzeitigen Warnsignale. .. Doch ich vergaß“, unterbrach Bonneval sich selbst, „manche Leute mögen keine Geschichte ...?“
    „Ich bin kein Dummkopf, Aga, und möchte Staatsmann sein“, sagte Ali. „Bitte, fahren Sie fort. Ich habe, wie ich merke, einiges nachzuholen.“
    „Immerhin kann ich es kurz machen. Die nächsten zweihundert Jahre löste sich das Großfürstentum in eine Reihe von Kleinstaaten auf, die dann unter das mongolische Joch des Dschingis und seiner Nachkommen gerieten. Hoheit hatten ganz recht zu fragen, wer denn zu Solimans Zeit etwas von Rußland gewußt habe. Aber jetzt weiß man von ihm. Eine Tatarenherrschaft über Rußland gibt es nicht mehr und Kleinstaaten, wie Hoheit wissen, auch nicht. Heute nennen die Zaren sich Kaiser.“
    „Bei uns nennt man sie nicht so“, sagte Ali.
    „Gewiß nicht“, bestätigte Bonneval, „es gibt nur einen Gott und nur einen Kaiser.“
    „Unsern Herrn“, schloß der Wesir.
    Bonneval verneigte sich zustimmend.
    „Inzwischen ist allerdings ein Anspruch, der an dreihundert Jahren nichts war als das, ein Grundsatz geworden. Er beginnt sich deswegen in der Außenpolitik so gefährlich auszuwirken, weil ein großes Volk diesen Grundsatz als sein Schicksal empfindet. Der Pol der russischen Politik ist immer noch Miklagaard, Konstantinopel, Stambul, sind die eisfreien Häfen des Mittelmeeres und dieses Meer selbst. Als Zoe Paläologa, die Tochter des Despoten Thomas und Nichte des letzten Konstantin, den Moskauer Thronfolger Iwan heiratete, wurde das wenig bemerkt. Moskau aber nahm den schwarzen Doppeladler von Byzanz als sein Wappen an und erklärte sich damit als das russische Byzanz, das es war, zugleich auch zum politischen Prätendenten für das Reich der christlichen Basileen, dessen tatsächliche Nachfolge wir angetreten hatten und innehaben.“
    Mit einem Lächeln unterbrach ihn Ali.
    „Verzeihen Sie, Graf“, erkundigte er sich , „was verstehen Sie unter ,wir‘?“ „Uns Türken natürlich“, gab ihm Bonneval mit ebensolchem Lächeln
    zurück.
    „Das ist eine Antwort, zu der ich Sie beglückwünsche, Aga. Alle sind Türken, die sich ehrlich zum Osmanischen Reich und zum Koran
    bekennen.“
    „Unter diesen Umständen glaube ich mich keiner Mißdeutung auszusetzen, wenn ich unsere Türkei als das osmanische Byzanz dem russischen Byzanz gegenüberstelle. Die Religion trennt beide, und keine Gegnerschaft ist so stark wie die zwischen zwei Parteien, die eigentlich zusammengehören.“
    „Ich erkenne an, daß eine Landmasse wie Rußland sich den Zugang zum Meer erkämpfen muß. Tat es das aber nicht schon mit der Gründung Petersburgs und der Eroberung der baltischen Länder? Und glauben Sie nicht, daß die Verteidigung dieser Eroberungen noch eine ganze Weile Rußlands Kraft beanspruchen wird?“
    Das waren Fragen und keine Meinungen. So faßte sie Bonneval auch auf.
    „Wollen Hoheit bitte berücksichtigen, daß Rußland bereits mit dem Zaren Peter die europäische Kriegstechnik bei sich eingeführt hat? Seine Generäle sind Ausländer oder Russen mit ausländischer Schulung ...“
    „Sie wollen damit sagen, daß wir nicht schnell genug das Versäumte nachholen

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