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Der Eunuch

Titel: Der Eunuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Tralow
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einem gemeinsamen Willen selbständig vorgehe, ohne daß die Formationen deswegen auseinanderfielen.
    Diese Truppe, die sich zu einem Vorbild für das türkische Heer und einer Schule für Offiziere und Unteroffiziere zu entwickeln begann, war aus Männern aller Teile des großen Osmanischen Reiches, zugleich aus Flüchtlingen anderer europäischen Länder zusammengesetzt. Zum ersten Male hatte das türkische Heer unter seine Mitkämpfer auch Christen aufgenommen. Gerade die letzten waren besonders wertvoll, weil sie die landsmannschaftlichen Bindungen lockerten, die bei den Janitscharen so oft Schwierigkeiten verursacht hatten. Bei den Bombardieren dagegen bildete ihr Lehrer und Kommandeur, mit dessen Ruhm sie sich schmückten, das einigende Band.
    Und doch hatte Bonneval die Gefährdung seiner Schöpfung für möglich gehalten, als Topal Osman, der ihm so wohl gewollt hatte, vom Amt des Großwesirs abberufen worden war. Die Bemerkung jener Dame, der er nie wieder begegnet war, daß mit seinen Diensten für die Dauer gerechnet werde, hatte er zwar nicht vergessen. Als er aber die Einladung zum neuen Großwesir Ali Hakimsade erhielt, war er dennoch auf alles gefaßt.
    Natürlich gab es auch in der Türkei beliebte und unbeliebte Generäle. Die meisten waren den Truppen gleichgültig, und die beliebten waren hei der Regierung unbeliebt. Voltaire hatte geschrieben, daß er Bonneval noch bei den Persern zu sehen erwarte. Doch wen - Freund oder Feind — ließ Voltaire schon mit seiner Feder unbehelligt? Wohl befriedigte die Lage Bonnevals Eitelkeit; aber sein Sicherheits-bedürfnis war zur Zeit größer. Für ihn gab es nur die Türkei. Was wäre aus seinem Haß gegen Habsburg in Persien, Indien oder China geworden?
    Nicht in der besten Laune betrat der große Herr aus dem Limousin des Arztsohnes schönen Palast.
    Auch Ali Pascha war erst in der zweiten Generation Türke, wenn man den Venezianer, seinen Vater, der es im Osten zu hohem wissenschaftlichem und menschlichem Ansehen gebracht hatte, als erste Generation rechnen wollte. Genau genommen standen sich mit Bonneval und Ali ein Franzose und ein Italiener gegenüber.
    Aber Ali war Großwesir, also der Schatten des Padischahs, und der mußte seinen Stellvertreter schon mit Absetzung, vielleicht gar Tod bedrohen, wenn er ihn zügeln wollte. Mochte ein Großwesir Jahrzehnte oder drei Tage im Amt sein - solange er das Siegel des Reiches um seinem Hals trug, konnte ihm niemand dreinreden, nicht einmal der Sultan. Wenn das Siegel ihm abgefordert wurde, verließ er sein Amt mit den Füßen voraus und als stiller Mann aus der Pforte des Bostandschibaschi, um in einer komfortablen Turbe beigesetzt zu werden, oder er wurde wieder ein Pascha mit drei Roßschweifen und erhielt wie Topal Osman Pascha, der inzwischen Beglerbey von Trapezunt geworden war, eine große Statthalterschaft des Reiches.
    Was war Bonneval dagegen? Kaiserlicher Generalfeldzeugmeister und Mitglied des Wiener Hofkriegsrates war er nicht mehr. In der Türkei hatte man ihn seiner Gelehrsamkeit wegen anfangs als Efendi angesprochen, ohne daß er darauf wirklich ein Recht gehabt hätte. Mit seinem militärischen Kommando war er wie jeder hohe Offizier und jeder hohe Hofbeamte „Aga“ geworden. Als Eunuch konnte ein Aga sogar mehr als ein Pascha sein, als Kislar Aga etwa oder Chasineder Aga. Für Bonneval bestand diese Möglichkeit nicht. Jeder der fünf Generalleutnante der Janitscharen - von dem Janitscharenaga selbst gar nicht zu reden - stand im Rang über Bonneval. Ihm schien es, als habe man seine Stellung absichtlich im unklaren lassen wollen, während man ihm eine Aufgabe zuweise, die Sein oder Nichtsein der Türkei berühre. Der Hof habe ihn gewissermaßen sich selbst über- lassen, mußte er denken. Was sei ihm also übriggeblieben, als sich so fest wie nur möglich in seiner eigenen Truppe zu verankern? Der Katzensprung vom Goldenen Horn bis zum bosporonischen Skutari bedeute nichts. Es sei Tatsache, daß er in Konstantinopel mit viertausend besttrainierten und bestbewaffneten Männern stehe, die nur ihm gehorchen, ohne daß er die Stellung und die Rechte eines Paschas habe, und lange könne sich ein solcher Widersinn nicht behaupten.
    Er war keineswegs glücklich darüber.
    Der Empfang Ahmed Agas, wie Bonneval jetzt hieß, war jedoch genau wie unter Topal Osman der eines Mannes, dessen Zeit noch kommen würde. Beflissene Ehrenbezeigungen, höfliche Begrüßungen, ein öffnen der Türen, wo es nicht

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