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Der Eunuch

Titel: Der Eunuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Tralow
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können?“
    „Allerdings, Hoheit. Oberdrein ist Rußland, an unseren Wünschen gemessen, in seinem Nordwesten viel zuwenig in Anspruch genommen. Schweden ist besiegt. Ich kenne den König. Er ist ein fähiger Mann; aber sein Vorgänger und Schwager, Karl XII., hat das Land in einem Zustand zurückgelassen, daß eine Wiedereroberung des Verlorenen kaum in Betracht kommt. Polen ist in seinem jetzigen Zustand keine Macht, und mit Österreich ist Rußland verbündet.“
    „Die beiden Rivalen ...“
    „Sehr recht, Hoheit. Aber die Rivalität wird erst dann zum Ausbruch kommen, nachdem Österreich und Rußland uns geworfen haben. Iich habe in Süditalien kommandiert. Das Land ist nicht zu halten. Österreich braucht als Ersatz unsern Balkan und würde daneben die Meerenge gern mitnehmen. Rußland braucht unsere Meerenge und würde auch den Balkan mitnehmen. Für Rußland ist die Ostsee auch nur ein Binnenmeer ohne eisfreie Häfen. Jede feindliche Flotte von entsprechender Stärke kann sie im dänischen Sund sperren. Zur Zeit starrt es auf Asow und die Krim. Das sind Kriegsschauplätze zweiten und dritten Ranges mit einer mohammedanischen Bevölkerung. Gefährlich und gefährlicher als Österreich werden die Russen erst, wenn sie an der Donaumündung, in der Moldau und Walachei erscheinen. Dort ist die Bevölkerung griechisch-orthodox und schon der gemeinsamen Konfession wegen Rußland geneigt. Österreich dagegen ist römisch-katholisch, und das ist für diese Leute schlimmer als mohammedanisch. Vom Islam haben sie jede Toleranz zu erwarten — vom Papst nicht die geringste. Ermessen Hoheit bitte, welche der beiden Mächte auf lange Sicht die gefährlichere ist.“
    „Und zur Zeit - wenn wir von der langen Sicht absehen?“
    „Im Augenblick sind es nodi die Deutschen. Aber wer uns auch zuerst angreifen wird - Österreich oder Rußland -, wir werden immer gegen beide zu kämpfen haben. Keiner wird dem andern die Beute überlassen wollen - die leichte Beute, wie sie glauben.“
    „Und was glauben Sie, Aga?“
    „Ich kenne die Kampfkraft der türkischen Heere. Hoheit haben sie in Persien bewiesen. Wenn die Pforte sich nun nodi zu einer neuen Taktik entschließen kann, zu einer, die nicht nur eine Nachahmung der europäischen ist, sondern diese noch übertrifft - dann würden die Deutschen eine Überraschung erleben. Es läßt sich denken, wie und wo der alte Mann seinen Angriff eröffnen wird ...“
    „Der alte Mann? - Sie meinen den Prinzen?“
    „ Iich meine Eugen. Er ist alt und, wie ich mir habe berichten lassen, nicht mehr der alte. Das Ziel seiner südöstlichen Feldzüge ist aber immer Belgrad gewesen. Es ist anzunehmen, daß er auch das nächstemal von dort ausgehen wird. Das würde einen Krieg in Serbien bedeuten, in einem Bergland mit zahllosen engen Tälern und Höhenzügen, die der Entfaltung großer Heere entgegenstehen. Hoheit sehen schon daran, wie grundlegend die türkische Taktik auf diesem Kriegsschauplatz umgestellt werden müßte. Kleine und kleinste Kampfgruppen, also mit dem Vielfachen an Offizieren und einem Meldedienst, der die aufgelockerte Armee dennoch straff zusammenhält.“
    „Wenn man etwas über die Pläne des Prinzen erfahren könnte“, meinte Ali nachdenklich, um dann plötzlich aufzublicken. „Wo würden Sie angreifen, Generalfeldzeugmeister?“ fragte er. „Als Österreicher, meine ich.“
    „An der Donaumündung“, antwortete Bonneval ohne Besinnen. „In der Moldau und der Walachei fänden die Österreicher Länder, in denen sich mit großen Heeren operieren ließe.“
    „Und unsere Aussichten?“
    „Wenn es uns gelingen sollte, genügend Offiziere auszubilden, und wenn unsere Generalität sich in ihren Schlachtordnungen völlig von der Tradition befreien könnte ...“
    „Völlig?“
    Das klang wie eine Warnung an Bonneval, nicht zu weit zu gehen. Dabei stand alles für ihn auf dem Spiel, und Ali Pascha war ein General aus der türkischen Schule. Aber noch ein verlorener Krieg? Der Graf war zu sehr Feldherr, um sich anzupassen, wo es um seine Überzeugung ging.
    „Jawohl, völlig!“ Er wich nicht zurück. „Eine traditionelle Schlachtordnung war nur in Zeiten einer primitiven Kriegsführung möglich, die kaum etwas anderes als Massenangriff kannte. Mit diesen Schlachtordnungen sind wir Türken europäischen Armeen genau so unterlegen, wie es das ungarisch-deutsche Ritterheer den Osmanen war, als der große Soliman es bei Mohacz in einer Weise vernichtete, von der es

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